Kulturanthropologin zur Nutzung leerer Kirchenräume

Erst Gottesdienst - dann Rockkonzert

Durch steigende Kirchenaustritte werden zahlreiche Kirchen nicht mehr gebraucht. Die Lösung könnte in einer zusätzlichen Nutzung bestehen, wie die Kulturanthropologin Katrin Bauer bei domradio.de erläuterte.

Kreuzeskirche in Essen: Mal Gottesdienst - mal Konzert / © Forum Kreuzeskirche
Kreuzeskirche in Essen: Mal Gottesdienst - mal Konzert / © Forum Kreuzeskirche

domradio.de: Was für eine Rolle spielt ein Kirchengebäude denn in einer Stadt - auch für die, die nicht regelmäßig in den Gottesdienst gehen?

Katrin Bauer: Ein Kirchengebäude ist ein ganz besonderer Ort. Wenn wir uns Stadtsilhouetten angucken, da prägen heutzutage Kirchengebäude das Stadtbild. Denken wir nur an Köln. Köln ohne den Dom, das funktioniert in unserer Vorstellung überhaupt nicht mehr. Das ist ganz fest in unserer Erinnerung verankert. Auf der anderen Seite haben Kirchengebäude auch immer eine ganz starke individuelle, persönliche Bedeutung. Wenn wir daran denken, dass wir die großen Feste unseres Lebens, unserer Biographie meistens in Kirchen feiern und dabei an Hochzeiten und Todesfälle denken, dann sieht man, dass der Ort wichtig wird.

domradio.de: Glauben Sie denn, dass Kirchen auch für Nichtgläubige ein Symbol sein können und wichtig sind?

Katrin Bauer: Das glaube ich sehr stark. Wir erleben das jetzt gerade wieder nach den furchtbaren Anschlägen von Paris, dass die Menschen sich auch in Kirchen versammeln. Ich glaube, da sind auch viele Menschen dabei, die sonst alltäglich oder sonntags nicht regelmäßig in die Kirche gehen. Aber eben bei besonderen Anlässen haben Kirchen schon eine ganz besondere Anziehungskraft, eine besondere Aura, könnte man fast sagen.

domradio.de: Trotzdem lassen sich die Finanzprobleme vieler Gemeinden nicht wegdiskutieren, die Kirchen nicht einfach als Kirchen weiterführen können. Welche Lösungsansätze gibt es denn da abseits vom Abriss?

Katrin Bauer: Es gibt von der evangelischen und der katholischen Kirche Leitkriterien, wie mit Kirchen umgegangen werden soll, wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder kein Geld mehr zum Unterhalt da ist. Man legt Gemeinden zusammen, dann sind Kirchengebäude eben überflüssig und man versucht sie zunächst einmal kirchennah zu nutzen. Man versucht kulturelle Veranstaltungen durchzuführen oder caritative Organisationen irgendwie in die Kirchen zu bringen. Das sind natürlich Sachen, mit denen auch nicht viel Geld eingenommen werden kann. Das eigentliche Ziel ist es, einen sachten Umgang mit dem Thema zu vollführen. Und das ist gleichzeitig auch ein bisschen das Problem, denn es gibt einfach zu viele Kirchen, die zur Disposition stehen, und nicht jede Kirche kann eine Kulturkirche werden.

domradio.de: Haben Sie konkrete Beispiele für eine gelungene zusätzliche Nutzung von Kirchen?

Katrin Bauer: Ein  Beispiel für eine gelungene Umsetzung ist die Kreuzeskirche in Essen. Das ist auch ein sehr außergewöhnlicher Fall, denn da hat die Kirchengemeinde die Kirche an einen Bauunternehmer verkauft. In der Kirche ist eine Art Doppelnutzung entstanden. Auf der einen Seite findet tatsächlich noch sonntags Gottesdienst statt, es gibt kirchliche Veranstaltungen und Seniorencafes. Es ist also noch ein kirchengemeindlicher Ankerpunkt. Auf der anderen Seite wird sie vor allen Dingen an den Wochenenden für Eventveranstaltungen vermietet. Da können Konzerte oder Tagungen stattfinden, die keine kirchliche Nähe brauchen. Das ist vielleicht ein Beispielprojekt, dass man sagt, wir öffnen uns für die Gesellschaft und versuchen auch die Gesellschaft, die eben nicht nur kirchlich ist, mit in unsere Häuser hineinzubringen.

domradio.de: Was zeigt denn da die Erfahrung? Wie nehmen die Gläubigen solche erweiterten Nutzungen auf?

Katrin Bauer: So richtig Erfahrung hat man damit noch nicht, weil das natürlich ein Prozess ist, der im Moment noch im Gang ist. Man kann aber sagen, dass es wichtig ist, die Gläubigen von Anfang an mit einzubeziehen, sie über die Pläne in Kenntnis zu setzen und sie mit ins Boot zu nehmen, wenn es darum geht, was man noch von der Kirche haben will, wenn sie später einmal verkauft ist oder anders genutzt wird. Wenn ein Kommunikationsprozess in Gang gesetzt worden ist, dann kann die Kirche auch ein neuer Ort der Begegnung werden.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR