Marx und Bedford-Strohm besuchen Palliativstation

Die Praxis zur Theorie

Mit einem Gottesdienst und einer Diskussion haben die Kirchen ihre "Woche für das Leben" eröffnet. Wie "Sterben in Würde" in der Praxis aussehen kann - davon machten sich die Bischöfe danach auf der Palliativstation eines Krankenhauses ein Bild.

Autor/in:
Johannes Schönwälder
Besuch der Palliativstation / © Matthias Greve (KNA)
Besuch der Palliativstation / © Matthias Greve ( KNA )

Noch vor einer halben Stunde haben sie zur Eröffnung der "Woche für das Leben" auf dem Podium diskutiert. Thema: Autonomieverlust und Selbstbestimmung am Ende des Lebens. Immer wieder betonten der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, dort das Nein der Kirche zum assistiertem Suizid. Sie wollen einen Ausbau der palliativen Versorgung, die nicht mehr heilt, aber sich der bestmöglichen Lebensqualität für Sterbenskranke widmet. Dem Berliner Hospiz-Chef und Arzt Michael de Ridder, der die begleitete Selbsttötung in die Gewissensentscheidung von Medizinern legen will, halten sie entgegen, es brauche Ärzte, die Menschen im Sterben begleiten, aber nicht töten.

Jetzt stehen die beiden obersten Geistlichen ihrer Kirchen zusammen mit Hamburgs Erzbischof Stefan Heße und Bischöfin Kirsten Fehrs vor der versammelten Mannschaft der Palliativstation im Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE). Seit 2012 versorgt das Team aus Ärzten, Pflegern, Therapeuten, Geistlichen und Ehrenamtlichen hier Körper und Seelen Sterbenskranker. Neun Tage bleiben die Patienten im Schnitt. Dann sind sie entweder gestorben oder zunächst soweit eingestellt, dass sie die Station zum Sterben zu Hause oder in einem Hospiz verlassen können.

"Vom Wunsch nach Sterbehilfe nichts mehr übrig"

Kardinal Marx ist es, der die sich aufdrängende Frage stellt: Sie, die Geistlichen, verträten gegenüber anderslautenden Forderungen ja die These, dass jemand, der so umfassend palliativ versorgt werde, eine Selbsttötung in der letzten Lebensphase nicht mehr ins Kalkül ziehe. "Stimmt das, können Sie das aus der Praxis bestätigen?", will er wissen. Auch sie hörten manchmal den Satz "Ich möchte nicht mehr leben", erläutert darauf Oberärztin Karin Oechsle. Frage man aber nach, relativierten die Betroffenen zumeist ihr Aussage in "so nicht mehr leben".

Die Patienten würden manchmal durch nicht bewältigte Familienprobleme belastet, sorgten sich um den Unterhalt des Partners und dessen Seelenheil oder hätten nicht aushaltbare Schmerzen. Alle diese Probleme versuche das Palliativ-Team zu lösen, und das gelinge auch in den meisten Fällen. Und dann sei vom Wunsch nach Sterbhilfe beim Patienten meist auch nichts mehr übrig.

Denkanstöße auch für die Kirchen

Im Gottesdienst hatte Bedford-Strohm eine ausreichende Finanzierung der Pflege und der Palliativbegleitung angemahnt. Die liebevolle Begleitung eines Sterbenden könne niemals von Kosten-Nutzen-Abwägungen abhängig gemacht werden. Im UKE rennt er damit offene Türen ein. Zwar stehe Hamburg mit seiner palliativen Versorgung relativ gut da, erfahren die Besucher. Allerdings reichten die stationären und ambulanten Plätze hinten und vorne nicht. Auch die Zahl von fünf Seelsorge-Mitarbeitern relativiere sich angesichts einer Patientenzahl von jährlich etwa 90.000.

Auf Nachfrage von Erzbischof Heße, wie es denn mit der Versorgung in den konfessionellen Kliniken und Altenheimen aussehe, bekommen die Geistlichen auch einen Denkanstoß für ihr eigenes Haus. Längst nicht alle Krankenhäuser der Kirchen hätten eine Palliativstation. Und in den Heimen von Caritas und Diakonie sei so etwas erst recht eine Seltenheit. "Da müsste sich doch etwas ändern lassen", sagt Marx spontan und verspricht, in der Bischofskonferenz demnächst einen Anstoß zu geben.

Marx segnet Patienten

Beim kurzen Gang über die Station bekommen Fehrs, Heße, Marx und Bedford-Strohm zuerst nur leere Räume zu sehen. Plötzlich ist Marx verschwunden. Er hat ein belegtes Zimmer entdeckt und setzt sich an das Bett des Sterbenskranken. Wo er herkomme und was er gemacht habe im Leben, will Marx wissen.

Auf die nächste Frage nach der Zukunftsaussicht senkt der Patient stumm den Daumen. Dann geht die Tür des Zimmers zu, doch der Kardinal bleibt noch länger, nimmt sich Zeit. Seinen Segen habe der Patient - obwohl nicht katholisch - am Ende doch bekommen, erzählt Marx später. Er habe ausdrücklich danach gefragt zum Schluss des Gesprächs. Seelsorge am Lebensende - ein ganz wichtiger Teil des Bemühens, Menschen die Angst vor dem Sterben zu nehmen.


Quelle:
KNA