Weihnachten ist immer, was wir daraus machen

Niemand sieht den Weihnachtsmann

Alle Jahre wieder. Soviel Lamentieren. Über Jingle Bells und Konsumterror, Stress mit Geschenken, die keiner kaufen und keiner haben will, aber gekauft werden. Eigentlich könnte dazu doch mal alles gesagt sein. Aber uneigentlich sind im Advent ganz offensichtlich sehr viele Menschen unglücklich. Oder gestresst. Oder beides. Ausgerechnet wegen Weihnachten. Mich rühren diese Klagen immer.

There is a Santa Claus / © Seizure dog
There is a Santa Claus / © Seizure dog

Denn viel krasser könnte der Gegensatz, von dem, was wir feiern wollen und dem, was wir oft daraus machen, kaum sein. Zeit darüber nachdenken habe ich, während der Küchenweihnacht. Die sich die Große dieses Jahr gewünscht hat. Wir kochen Weihnachtskompott, füllen Teelikör in Flaschen oder schichten Spekulatiusmilchreismischungen in Gläser.

Abends ist der Kleine dran. Er hat sich einen Weihnachtsfilm gewünscht. Zusammen schauen wir einen ziemlich kitschigen Film, bei dem ich  meine Weihnachtsnachdenkerei weiter verfolgen kann. Der Film erzählt die berühmte Geschichte, des vielleicht am häufigsten zitierten Leitartikels aller Zeiten. Jedes Kind im englischsprachigen Raum kennt Virginia o Hanlon. Die mit acht Jahren an die Zeitung schrieb: "Lieber Redakteur. Papa sagt, was in der Sun steht, stimmt. Deswegen sag mir die Wahrheit: Gibt es den Weihnachtmann?" 1897 war das.

Virginia bekommt Antwort. Öffentlich. Der Kriegsreporter Francis Church hatte über genug Härten und Leid im amerikanischen Bürgerkrieg berichtet, um gegen jeden Weihnachtsmannglauben immun zu sein. Dennoch schrieb er: "Liebe Virginia. Niemand sieht den Weihnachtsmann, aber das ist kein Zeichen dafür, dass es ihn nicht gibt. (…) Niemand kann die ungesehenen und unsichtbaren Wunder der Welt begreifen (…) Aber die unsichtbare Welt ist von einem Schleier bedeckt. (…) Nur Glaube, Phantasie, Poesie, Liebe, Romantik können diesen Vorhang beiseiteschieben. (…)  Ist das alles wahr? Ach, Virginia, in der ganzen Welt ist nichts sonst wahrer und beständiger."

Tja, aber darum geht es doch an Weihnachten. Ob wir den unsichtbaren Vorhang zur Seite schieben. Ob wir die Phantasie nutzen, die die echte Liebe in jedes Herz gießt. Die Poesie folgt von selbst. Genau wie der Zauber, den Weihnachten haben kann.

Es gibt ein Radiointerview von Virginia im Archiv der BBC. Mit 74 Jahren und sehr warmer Stimme sagt sie da: Der Leitartikel damals habe ihr ganzes Leben verändert. Weil ein Kind so ernst genommen wurde. Fortan habe sie sich verantwortlich gefühlt, zu leben, wovon Francis  Church ihr schrieb. Sehr glücklich sei sie so geworden.

Ich wünsche Ihnen einen phantasievollen, poetischen, zauberhaften vierten Advent.