oder: ein Kochbuch aus Ellis Island

Von Keksen. Und Heimat

Gerade habe ich den Großen und meinen Mann in Venlo eingesammelt. Müde torkeln sie aus dem  Zug von Amsterdam Schiphol, dem Flughafenbahnhof.

 (DR)

Kein Wunder, die beiden sind seit 36 Stunden auf den Beinen, kommen frisch aus Connecticut in den USA. Dort haben sie einen Freund und heute 80jährigen Ausbilder meines Mannes besucht. Über zwanzig Jahren sehnte sich mein Mann nach diesem Wiedersehen.

Ein runder Geburtstag und viele Menschen haben die Vater-Sohn Reise an die Wurzeln des Vaters möglich gemacht. Beide sind erschöpft, aber glücklich. Bevor sie zu Bett gehen, werden noch die wichtigsten Eindrücke ge- und die Mitbringsel verteilt. Ich bekomme ein Kochbuch aus Ellis Island.

Ellis Island. Diese Insel im Hudson River vor New York. Als ich meinen Mann kennenlernte und er mir in den 90ern denselben Freund  vorstellte, haben wir einen Ausflug nach New York gemacht. Und nichts hatte mich dort so sehr beeindruckt wie dieses Inselchen: Ellis Island.  

Viele Jahre war Ellis Island Sitz der Einwanderungsbehörde. Rund 12 Millionen Menschen sind über Ellis Island in die Vereinigten Staaten eingewandert, 500 Mitarbeiter nahmen jeden Tag Tausende Einwanderer in Empfang.

Und sortierten gnadenlos aus. In langen Schlangen standen die Menschen und wurden ärztlich untersucht, Kinder von den Eltern getrennt. Wer krank war - durfte gar nicht erst an Land, musste mit dem nächsten Schiff zurück.

Heute ist Ellis Island ein Museum. Als ich damals dort stand, konnte ich das Leid der Menschen an diesem Schicksalsort förmlich riechen und sehen: verzweifelte  Kritzeleien von Kindern an den Wänden, mit Griffeln geführte Strichlisten auf Schieferwänden von Abgelehnten.

Auch unseren Sohn hat das Museum beeindruckt: "So stellt Seehofer sich seine Ankerzentren vor. Grauenhaft!" sagt er und überreicht mir das Kochbuch mit Rezepten von Einwanderern aus der ganzen Welt. Von deutschen Einwanderern finde ich Bohnensuppe, Walnusskuchen, Kohlrouladen und Spitzbubenplätzchen darin.

Während die Heimkehrer schlafen, blättere ich im Kochbuch herum. Our common ground, unser gemeinsamer Grund, seien diese Rezepte im Einwanderungsland USA. Wenigstens der Geschmack nach zu Hause konnte ins neue Leben gerettet werden.

In den letzten Wochen musste  ich mich von einer Krankheit erholen. Regelmäßig standen die Kinder meiner syrischen Nachbarin hier. Brachten Suppe und syrische Kekse.

Ich könnte, nehme ich mir vor, die Mutter nach dem Rezept fragen. Vielleicht kann dann für sie die so furchtbar fremdartige Fremde anfangen ein bisschen heimischer zu werden.