Richtig, falsch und bleu-blanc-rouge

Versteigerte Jungfrauen im Mai

Einmal bin ich in "den Sack" gekommen. Das waren die, die niemand haben wollte. Bei der Maiversteigerung. Bei der die Junggesellen die Jungfrauen im Dorf ersteigern konnten. Der Sackkäufer durfte dann eine aus dem Sack doch noch zum Maiball einladen. Er lud mich ein.

Maibaum / © von Papa1234 (Eigenes Werk) [CC0], via Wikimedia Commons
Maibaum / © von Papa1234 (Eigenes Werk) [CC0], via Wikimedia Commons

Ende der 70er war das. Schon da fand ich, dass ich "verkauft" werden konnte, so falsch, wie die Maigesellschaft es richtig fand. Geändert hat sich daran nichts. Auf beiden Seiten. Die Maigesellschaft schreibt heute auf ihrer Website: " Auch in diesem Jahr werden knapp 350 Frauen versteigert. Zu diesem Highlight sind alle Junggesellen recht herzlich eingeladen."

Ich klicke durch die Jahre und die Bildergalerien - und es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben: Versteigerung, Maipolizei, Baumschlagen, Baumwache, weiße Kutschen beim festlichen Maiumzug. Alles noch wie damals als ich als Teenager in meinem Heimatdorf lebte.

Und vom Leben noch rein gar nichts verstand. Vom Dorf auch nicht. Bestenfalls wunderte ich mich. Zum Beispiel über einen Grundschulfreund. Plötzlich fuhr er tagelang mit seinem Moped unsere Anliegerstraße auf und ab. Ab und auf. Und wieder von vorne. Nie hielt er an. Aber immer schaute er zu meinem Fenster hoch.

Am 1. Mai prangte an diesem Fenster plötzlich einer der schönsten Maibäume, den ich je gesehen habe. Riesengroß und ganz in weiß, blau, rot. Jetzt verstand ich dann doch: Ein Maibaum. Für mich. In den Farben der französischen Tricolore. Weil ich doch immer so von Frankreich schwärmte. Blöde Maibräuche hin - und bescheurtes verkauftwerden her - der Maibaum in Bleublancrouge wärmte mein Herz. Sehr sogar.

Einmal im Jahr trifft sich unser Familienclan in meinem alten Dorf, im Haus meiner Grosseltern. Gerade erst wieder. Einer meiner Cousins erzählt vom Maifest. Bei dem er der huldvoll winkende Maikönig war. In der weißen Kutsche. Genau wie zwei andere Cousins von mir zuvor. Wieder ein anderer, bei fast zwanzig mangelt es mir wirklich nicht an Cousins und Cousinen, hält erst ein flammendes Plädoyer, warum er schon in den 70ern niemals nicht seine Liebste gekauft hätte. Um dann umwerfend komisch zu erzählen, wie es war, für seinen bei der Bundeswehr weilenden großen Bruder dessen Liebste zu ersteigern.

Uns laufen die Tränen, wir ringen um Fassung. Und ich weiß mal wieder, dass es mehr als schwarz und weiß gibt.

Bleu-blanc-rouge zum Beispiel.