...und ein Zeugnis fürs Leben

Alte Schulzeugnisse...

Ich sitze auf dem Boden, sortiere Belege und hefte auch den Rest unseres Papierlebens ab. Darunter das vorletzte Zeugnis des Jüngsten.

 (DR)

Es ist gerade mal ein halbes Jahr alt - und liest sich doch wie die Zeitung von vorvorgestern. Zumal gerade schon das nächste Zeugnis kam. Ich schüttele den Kopf: wen sollen diese alten Schulzeugnisse eigentlich interessieren?

Mich nicht wirklich, ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Noten. Ich weiß zu viel darüber, wie sie zustande kommen. Wie wenig vergleichbar sie sind. Wie scheinbar die Objektivität ist, die da vorgegaukelt wird.

Deswegen habe ich schon lange entschieden, meinen Kindern, so gut ich das kann, bei diesem „NotenZeugnisDing“ einfach zur Seite zu stehen. Heißt, sie bei kleinen Ungerechtigkeiten zu trösten und bei großen die Löwenmama zu geben. Ansonsten ermutige ich sie, Noten erst dann ernst zu nehmen, wenn es ernst wird.

Ernst wird es spätestens mit den Abschlusszeugnissen. Ich kann zu Noten stehen, wie ich will: die Abschlusszeugnisse meiner Kinder haben Macht, reale Macht.

So ein Abschlusszeugnis ist wie ein Schlüssel. Manche passen nur auf kleine Türen, manche auf große - und ab und zu ist ein Zeugnis wie ein Passepartout, mit dem theoretisch alle Türen aufgehen.

Ich habe immer versucht, meine Kinder zu beobachten, zu schauen, wann sie lebendig sind, wann Interesse aus ihren Augen funkelt, was sie so anfixt, dass sie unbedingt ans Ziel kommen wollen. Und dann zu schauen, dass sie sich für das, was sich da in ihnen vom Leben zeigt, einen passenden Schlüssel feilen.

Der Jüngste hat noch eineinhalb Jahre Zeit für diesen, seinen Schlüssel. Aber wenn ich mir so anschaue, was die Großen mit ihren Schlüsseln anfangen, weiß ich: wird schon werden. So gelassen war ich als junge Mutter leider nicht immer.

Wie schade. Denn gerade aus dieser Zeit stammt das einzige Zeugnis, das immer noch von Bedeutung ist. Der Große hatte eine besondere Lehrerin. Am Ende des zweiten Schuljahres ließ sie die Kinder sich selbst ein Zeugnis schreiben.

So schrieb der Große, in schönster Schönschrift, gleich zu Beginn seines Zeugnisses über sich das Wichtigste: „Ich habe drei Freunde. Ich bin oft nett. Aber manchmal streite ich mich und prügeln tue ich mich nie.“

Endlich mal ein Zeugnis fürs Leben.