trotzdem Zeitung lesen

Sonnenblauer Himmel

Der Himmel über Berlin ist so grau, dass man vergessen könnte, dass es Farben gibt. Ich besuche Freunde, frühstücke in einer Pension. Eine Frau fragt nach Zeitungen. Bei der Antwort der Wirtin zucke ich zusammen: "Wenn Sie sich den Tag versauen wollen: an der Wand finden Sie eine Auswahl".

Zeitung / © Rab Ritchie
Zeitung / © Rab Ritchie

Ja, natürlich stehen in den ordentlich an der Wand aufgefächerten Zeitungen, schlimme Dinge. Und natürlich macht es keinen "Spaß" von der Tragödie in Syrien, den Toten von Boko Haram oder den auf der Flucht ertrunkenen Kindern zu lesen. Aber ist die Zeitung zuschlagen, den Balkon bepflanzen oder es sich im Getümmel von Berlin gut gehen lassen, sich also auf das eigene kleine Leben stürzen, eine Lösung? Ich hole mir eine Zeitung, vertage die Frage.

Bei der  Frühstückslektüre zu Hause, mit Blick auf den sonnenblauen Himmel, der sich über den Niederrhein spannt als sei das Meer um die Ecke, ploppt sie wieder auf. Die Sonne, die die Welt in Schönheit taucht, steht in krassem Gegensatz zu der erschütternden Reportage, die die junge Fotografin Julia Leeb von ihrer Reise in den Osten des Kongos mitgebracht hat.

Eine Reise, von der alle abraten. Der UN Vertreter sagt: wenn überhaupt, fliegen sie mit dem Hubschrauber über das Gebiet. Die Fotografin fragt: wer denn von den Menschen erzählen solle, wenn keiner mehr hinginge?

Ihre Reportage "aus dem Schmerzensreich" ist schwer zu lesen. Der Schmerz der Menschen krallt aus der Zeitung nach meinem Herzen. Wie verwundet blättere ich weiter. Schlage ein Interview mit der Künstlerin Laurie Anderson auf.

Die viel Leid erlebt hat. Von dem sie erst erzählt und dann die Tibeter zitiert: "Du bist hier um Freude zu haben. Das ist nicht naiv. Die Tibeter glauben nicht, dass die Welt schön ist. Auch dem Buddhismus zufolge ist das Leben als Allererstes Leiden. Aber es nützt nichts, darüber traurig zu sein. Mach das Beste daraus, das ist die Aufgabe. Wir sind hier, um eine sehr, sehr, sehr gute Zeit zu haben."

Vom Schmerz der vergewaltigten Schwestern im Kongo zu lesen, tut weh. Aber es ist wichtig. Um mein Herz offen halten, informiert zu bleiben. Wenn die nächste Wahl kommt, der nächste Flüchtling vor mir steht, ich entscheiden muss, wofür ich mein Geld und meine Zeit ausgebe.

Und es hindert mich nicht, jetzt durch das sonnenblau über den Feldern am Niederrhein zu laufen.