Sonnige Kälte

Der Herbstbote

Sonne. Und Kälte. Wenn das zusammen kam, dann wusste ich als Kind zwei Dinge: erstens: ich habe bald Geburtstag. Und zweitens: bald kommt der Herbst.

Herbstsonne / © Olegivvit
Herbstsonne / © Olegivvit

Es war auf dem Weg vom zweiten Bus zur Schule, dass sie mir zuerst auffiel: die Sonne, die nicht wärmte. Mein Schulweg war weit. Mehr als eine halbe Stunde Bus fahren, am Kaiserplatz umsteigen, noch mal eine knappe Viertelstunde. Und dann durch ein Wohnviertel zu den Containern, die einmal eine richtige Schule werden würden. (Und was für eine, ich habe meine Schule geliebt und verdanke ihr viel.)

Der Schulweg, den wir heute vielleicht eine Zumutung für neun, zehnjährige Kinder fänden, machte mir nichts. Im Gegenteil, vor allem das letzte Stück über den schmalen Weg, Fahrradgitter am Anfang und am Ende, genoss ich sehr. Hier war es still, nur die Vögel sangen. Und außerdem leuchtete mir hier die Morgensonne.

Die ersten Wochen nach dem Ende der Sommerferien, wenn die Erholung und der Sommer noch in mir wohnten, waren, wie immer-noch-Ferien. Im Schulleben stand noch alles auf Anfang, neue Hefte, neue Bücher, neue Lehrer, das Schulrad nahm erst noch Schwung.

Einmal, es muss das sechste Schuljahr gewesen sein, hatte ich einen neuen, dicken Wollpullover an. Todschick fand ich den und ich freute mich darauf, den die nächste Zeit durch die Schule tragen zu können. Und ich weiß noch genau, wie ich auf dem Weg durch die Morgensonne spürte: oh, der Pullover ist nicht nur schön. Nein, ich brauche ihn auch, die Sonne scheint zwar.

Aber die Luft ist kalt.

Damals habe ich den Kontrast zwischen Licht und Kälte einfach nur wahrgenommen. Über all die Jahre, die ich im Spätsommer und Frühherbst durch die Gasse gegangen bin, ist mir just dieser Kontrast dann ein Bote geworden.

Der erste Herbstbote.

Zu dem sich später die neue Apfelernte oder die frühe Abenddämmerung, es gab ja noch keine Sommerzeit, gesellten. Und viele Jahre später Hokaidokürbisse und Federweißer.

Aber bis heute ist es so: wenn, wie in den letzten Tagen, die Morgensonne plötzlich kalt wie Eis ist, dann kommt der Herbst. Aber erstmal habe ich Geburtstag. Dieses Jahr genau heute.

Deswegen wünsche ich uns allen einen besonders schönen immer-noch-Sommertag.