Sören Kierkegaard

Herbsthimmel

"Ich ziehe deshalb den Herbst dem Frühjahr vor, weil das Auge im Herbst den Himmel, im Frühjahr aber die Erde sucht.“

Herbstsonne / © Olegivvit
Herbstsonne / © Olegivvit

Ein interessanter Gedanke, finde ich. Gedacht hat ihn der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, der mich schon immer angezogen hat. Ein Satz von ihm fällt mir im Alltag oft ein:

"Man kann das Leben nur rückwärts verstehen. Aber leben müssen wir es vorwärts". Über die Jahre ist dieser Gedanke mir wirklich ans Herz gewachsen. Weil er so oft stimmt. Rückblickend, versteht sich.

Was weiß ich: nehmen wir das Jahr, als ein großer Wintersturm unser Sommerurlaubsdomizil, eine kleine Insel vor der irischen Westküste, so beschädigte, dass wir das kleine Haus auf der Insel nicht mieten konnten. Das war ein Schlag für unsere Familie. Und stellte uns vor eine Entscheidung. Wir wussten, so schnell würden wir nichts Vergleichbares finden. Aber wir wollten  uns auch nicht einen ganzen Urlaub mit dummen Vergleichen und Trauer über das Original, zu dem wir nicht fahren konnten, versauen. So sind einfach zu Hause geblieben.

Rückblickend: was für ein Glück! Denn just zu der Zeit, in der wir fern jeder Zivilisation ohne den Wintersturm im Inselurlaub gewesen wären, wurde ein guter Freund sterbenskrank. Und wünschte sich, wir wären bei ihm. Nun, wir hatten Zeit, konnten seinen Wunsch erfüllen.

Es ist mir schon oft passiert: Da bin ich traurig, ärgerlich oder enttäuscht, weil meine Pläne und Wünsche nicht aufgehen. Und plötzlich merke ich: oh wie gut, dass mein Plan nicht aufging! Sonst hätte ich einen Anruf verpasst, eine Begegnung versäumt oder eine großartige Möglichkeit nicht am Schopf ergreifen könne.

Über die Jahre haben mich diese Erfahrungen verändert. Wenn mal wieder was scheinbar schrecklich schief läuft in meinem Leben, denke ich immer früher: wer weiß, wozu es gut ist? Und merke - alleine dieser Gedanke macht mich flexibler, beweglicher. Ich kann besser mit der Situation, so wie sie ist und nicht so, wie ich es mir wünsche, klar kommen.

 Bei meinem neuen Kierkegaard - Fund aber würde ich widerspreche. Ich ziehe ganz sicher das aufblühende Frühjahr, wenn das Leben endlich zurückkommt, dem Herbst, wenn alles nach Abschied riecht, vor.

Aber ich will seinen Satz gerne prüfen: Schon während der Zugfahrt suchen meine Augen den Himmel. Und stellen fest: jedenfalls der Herbsthimmel durch den ich mit dem ICE fliege, ist wunderschön.