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Rote, gelbe, grüne, blaue. Lieber Martin, komm und schaue!

„Das musst Du erleben. Ihr kommt an St. Martin an den Niederrhein und wir feiern“, stellte eine ältere Freundin meines Mannes bestimmt fest.

Laternenumzug zu Sankt Martin / © Jörg Loeffke (KNA)
Laternenumzug zu Sankt Martin / © Jörg Loeffke ( KNA )

Das ist lange her. Der Große war noch ein Zwerg und wir wohnten noch eine kleine Reise vom Niederrhein entfernt.

Ich wunderte mich. Martinszüge kannte ich aus meiner Kindheit. Ja. Schon. Wir hatten kleine Martinslaternen, einen kleinen Martinszug, ein kleines Martinsfeuer. Dafür soweit mit einem Zwerg fahren?

Tja. Da hatte ich was zum Staunen. St. Martin in Kempen. Ein Volksfest. Und was für eins. Tausende Menschen auf den Straßen. Ein kilometerlanger Martinszug. Selbst Kunstkurse aus der Oberstufe präsentieren stolz ihre leuchtenden Kunstwerke. Überall gibt es Glühwein und Gebäck, sogenannte Püfferkes.

Am Ende dann am Riesenfeuer auf dem historischen Markt die Mantelszene. So oft gespielt, bis das letzte Kind dabei war. Und dann fallen von den Zinnen der Burg ganze Feuerwerks-Kaskaden. Was für ein Spektakel.

Klar war das eine Reise wert.

Heute gehört der Martinszug in Kempen zum immateriellen Weltkulturerbe. Und manchmal kommt das Fernsehen, um live zu berichten.

Umso bitterer die Nachricht. Schon im August bedauert der Martinsverein, dass leider, leider nach 80 Jahren zum ersten Mal, der Zug ausfallen müsse. Corona, Sie wissen schon.

Tja. Ich staune schon wieder. Jetzt über eine ganze Schulgemeinschaft, die sich kollektiv weigert in Coronafrust zu verfallen. Frei nach, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg zum Propheten, gilt hier: Wenn unsere Laternen nicht durch den Ort laufen können, dann läuft der Ort eben zu unserer Fackel.

Denn der Altbau dieser Schule am Ort wird zur Riesenfackel. 1500 Quadratmeter Glasfläche werden von innen gestaltet und beleuchtet.

Vier Abende lang können die Menschen aus dem Ort kommen. Und staunen. Über eine Unterwasserwelt. Zu Dreivierteln wird das Gebäude unter Wasser gesetzt. Also nur bildlich.

Die Titanic, das Yellow Submarine, Wale, Schildkröten, Meerjungfrauen, Taucher, Tintenfische, Korallen, Rochen und ganze Fischschwärme sollen, schreibt die Lokalzeitung, über die Fenster ziehen. Plastikmüll ist auch dabei. Und über allem wird die Sonne aufgehen.

Keine Frage, wenn es so weit ist, steige ich aufs Fahrrad und fahre in die Nachbarstadt. Das will ich selber sehen.

Und auch wenn kein Kind singt: „Auf den Straßen auf und nieder, leuchten die Laternen wieder. Rote, gelbe, grüne, blaue, lieber Martin komm und schaue“, kann der liebe Martin da unmöglich wegschauen.