WunderBar

Plötzlich ging der Himmel auf

Mit rotgeränderten Augen über tiefen Schatten sitzt ein bleicher Yassin am Esstisch. In der Hand ein Schreiben der Bezirksregierung.

Wunder, buchstabiert und in dieser WunderBar erzählt / © Jörg Loeffke (KNA)
Wunder, buchstabiert und in dieser WunderBar erzählt / © Jörg Loeffke ( KNA )

Yassin, so alt wie meine Söhne, ist 2015 durch die Wüste und übers Meer gekommen. Wäre ich in Afrika geboren, dann säßen meine Söhne jetzt irgendwo am anderen Ende der Welt unter Corona und Hitze, hielten Post in fremden Sprachen von fremden Ämtern in der Hand.

Aber hätte das Schicksal des falschen Geburtstortes meine Söhne getroffen, hoffe ich, sie wären so lebensklug, lustig und fleißig wie Yassin. Er hat immer einen Spruch auf den Lippen, schnell Deutsch gelernt, fremden Schulkindern morgens Frühstück geschmiert, Äpfel gepflückt und seit einer Weile eine unbefristete Vollzeitstelle bei einem Logistiker in der mittelgroßen Nachbarstadt.

Yassin hat alles richtiggemacht. Und sitzt doch da wie ein Häufchen Elend. Was ist passiert?

Corona ist passiert. Hitzeverschärft. Wegen Corona musste Yassin in eine andere Flüchtlingsunterkunft. Ein Container, superheiß. Nur Männer. Überall liegen Stromkabel und Nerven blank: Sobald mehr als einer kocht, ist für alle der Strom weg. Nachtruhe gibt es nicht.

Das Schlimmste aber: der Container liegt viel weiter entfernt von der Arbeit in der Nachbarstadt. Yassin hat keine Chance mehr, pünktlich zu kommen. Er beantragt, in die mittelgroße Nachbarstadt umziehen zu dürfen.

Im Antwortschreiben der Bezirksregierung steht eine lange Liste von Dokumenten, die er beibringen muss, bevor man überhaupt den Antrag bearbeite.

Darunter eine Umzugsbegründung. Die ist schnell gefunden: um pünktlich zu sein, müsste Yassin um 22 Uhr 47 los. Am Vorabend. Für die Bezirksregierung schlussfolgere ich, dass Yassin leider immer auf der Straße campieren müsse.

So weit, so einfach. Der nächste Punkt auf der Liste aber versetzt mir einen Schlag in den Magen: notwendig ist auch ein Mietvorvertrag. In der neuen Stadt.

Wie soll das denn gehen? Jahrelang sucht Yassin jetzt ein Zimmer. Trotz gesicherten Einkommens – keine Chance. Und jetzt ein Vorvertrag?

Ich schnappe nach Luft.

Da schwebt plötzlich, leicht wie eine Feder, ein Name durch meinen Kopf. Ein Mitstreiter für ein Kinderheim in Burundi. Verwaltet er nicht Wohnungen in der Mittelstadt?

Einen Anruf später weiß ich nicht nur: die Erinnerung stimmt. Sondern auch: der Mitstreiter hat gerade eine kleine Wohnung reinbekommen. Und hält sie Yassin frei, bis die Bezirksregierung entscheidet.

Yassin ist noch blasser geworden, ich glaube, er hat einen Glücksschock. Und wir eine Gänsehaut. So oft erlebt man ja kein Wunder.