oder: zehn Minuten können alles ändern

Das Referat

"Dann muss dir ja immer was einfallen" rief eine Freundin aus, als ich vor Jahren erzählte, ich würde jetzt eine Kolumne schreiben. Wöchentlich. Ja, das muss es dann wohl. Immer. Selbst an Tagen wie heute.

Zeit (dpa)
Zeit / ( dpa )

Morgen muss ich die Kolumne abgeben. Wir waren am Wochenende unterwegs, die Kinder haben Herbstferien. Ich habe morgen Sendung. Die Kolumne habe ich noch nicht angefangen. Schlimmer, ich weiß nicht mal das Thema. Ich koche Tee. 21 Uhr 34. Ich schaue Mails, google hier was und da was. Ich koche neuen Tee. 22 Uhr und drei Minuten. Die Zeit rast. Mein Hirn kriecht.

Dann erinnere ich mich plötzlich. An meinen wunderbaren Deutschlehrer. Der uns viel abverlangte. Und grässliche Ideen haben konnte.

Auch in dem halben Jahr, in dem wir Rhetorik durchnahmen. Eines Tages hieß die Hausaufgabe: Bereiten Sie ein Referat vor. Das Thema ist egal. Einzige Bedingung: es muss zehn Minuten lang sein. Boah! Da saß ich vielleicht an meinem Schreibtisch. Wie bestellt und nicht abgeholt. Mir. Fiel. Nichts. Ein. Einen ganzen, ewig langen Nachmittag habe ich mich gedreht und gewunden.

Zwei Worte standen auf dem Blatt: zehn Minuten. Zehn Minuten, las ich wieder und wieder. Sicher 1000-mal. 1000-mal ist nichts passiert. Aber beim 1000einstenMal zoomten sie sich diese zwei Worte in meine Augen: Zehn Minuten! Wie lang ist das eigentlich? Was kann man in zehn Minuten alles machen? Und was nicht? Was ist Zeit eigentlich? Warum können wir sie messen? Ähm, was messen wir da eigentlich? Mein Hirn ratterte, erhitzte sich. Ich schrieb und schrieb.

Am nächsten Tag legte ich meine Kärtchen aufs Lehrerpult, stellte eine große Uhr daneben. Schaute unsicher in die Menge. Fasste mir ein Herz. Trug meine Gedanken zur Zeit vor. Hatte alles vorgestoppt. Präzise wusste ich, wie viel Zeit ich, für welche Karte verbrauchen durfte. Alles sollte genau passen. Alles passte genau. Als ich, atemlos und glücklich, aufschaute, klatschten und trampelten meine Mitschüler.

Selbst mein gestrenger Lehrer schaute zufrieden drein. Seine Aufgabe, die mir so wunderlich erschienen war, hatte mir nicht nur einen wunderbaren Moment geschenkt. Sondern ebenso wunderbare Zuversicht ins Herz gegossen: Selbst wenn ich nicht den blassen Schimmer einer Idee hätte - würde mir etwas einfallen. Was für ein Geschenk.

22 Uhr 32. Die Kolumne ist fertig.