oder: selbst Filme können lieben

Willkommen bei den Sch'tis

"Ziemlich beste Freunde" zeigt, wie mitfühlend menschlich und "Schindlers Liste", wie grausam unmenschlich Menschen sein können. Filme haben Macht. Natürlich. Aber, wie um Himmels Willen kann ein Film Wunden, die kollektive Arroganz kratertief geschlagen hat, heilen?

Nordfrankreich / © von M.O. Stevens (Eigenes Werk) [Public domain], via Wikimedia Commons
Nordfrankreich / © von M.O. Stevens (Eigenes Werk) [Public domain], via Wikimedia Commons

Im Flugzeug nach Irland erzählt mir mein französischer Sitznachbar von seinem Leben. Das ihn in viele Länder und Abenteuer brachte. Schließlich landet er bei seiner Kindheit in Nordfrankreich. Unwillkürlich muss ich lächeln.

Weil der Film "Willkommen bei den Sch'tis" vor meinem inneren Auge erscheint: ich sehe die weitaufgerissenen Augen der Hauptperson, Philipp. Als der erfährt, dass er an den "schlimmsten Ort der Welt" versetzt wird. Hart und kalt ist es da. Null Grad. Im Sommer. Nein, Philipp wird nicht an den Nordpol versetzt. Viel Schlimmer: nach Nordfrankreich. Welches die Franzosen mit so viel Hohn und Spott bedenken, dass unsere Ostfriesenwitze im Gegensatz dazu liebevollste Zuwendung sind. Nein, "le nord", der Norden, war ein absolutes NoGo für die meisten Franzosen.

Bis der Komiker und Schauspieler Dany Boon seinen Megahit "Willkommen bei den Sch'tis" drehte: Mehr als 20 Millionen Franzosen strömten ins Kino. Lachten sich die Seele aus dem Leib und die Nordfranzosen ins Herz. Nie hatte in Frankreich ein Film mehr Zuschauer.

Warum lächeln Sie, fragt mein Sitznachbar? Ach, dann kennen Sie bestimmt "Willkommen bei den Sch'tis", frage ich zurück? Übergangslos stürzen meinem Nachbarn Tränen in die Augen. Ich erschrecke, bin ich ihm zu nahe getreten?

Nein. Mein Nachbar weint Tränen der Erleichterung. Immer noch ungläubige Tränen. Tränen, darüber, dass sein Land, la douce France, nicht länger nur seinen schönen Süden, mit duftendem Rosmarin, blühenden Lavendelfeldern und in ewiger Sonnen glitzernden Stränden, liebt. Sondern auch den nassgraukalten Norden, mit seinen einfältigen, rückständigen Ureinwohnern und unaussprechlichem Hinterwaldsdialekt, liebenswert finden kann.

So sehr, dass es meinen nordfranzösischen Sitznachbarn Jahre später zu Tränen rührt.

Ich wusste nicht, wie sehr kollektive Ächtung, auch wenn sie als Spott daher kommt, kränken kann. Das habe ich eindrücklich gelernt. Auch, dass Filme lieben können.

Und Liebe heilt eben immer.