Nichts bleibt wie es ist

Familienkaleidoskop

Zu sechst sitzen wir beim Essen. Viele Wochen habe ich dieses Bild nicht gesehen. Seit Jahresbeginn war mein Mann im Kloster. Als er wegfuhr, waren die Mädels von ihrer Südamerikareise noch nicht zurück. Ich betrachte mein Familienkaleidoskop.

 (DR)

Der Esstisch ist das Bild am Ende des Rohres in diesem Kaleidoskop. Geschüttelt wird es vom Leben.

In der letzten Zeit schüttelt das Leben oft. D.h. ich muss oft neu hinschauen. Wer denn gerade im Haus ist. Also mitisst. Also im Bild erscheint. Je nachdem muss ich auf jeden Fall mit Pfeffer kochen – oder darf ihn auf keinen Fall hineintun. Liebt jemand Fetakäse im Auflauf oder fängt schon beim Gedanken daran zu würgen an.

Früher war alles einfach: abends waren immer alle da. Zurück vom Kindergarten, der Betreuung in der Grundschule, der Arbeit, saßen wir um den Tisch herum. Erzählten uns den Tag. Aßen, was ich auf den Tisch stellte. Über Jahre änderte sich das nicht.

Aber dann wurden die Kinder größer. Machten Ausflüge und Praktika, fuhren mit dem Orchester weg oder gingen eine Weile im Ausland zur Schule. Freunde und Freudinnen kamen und gingen. Blieben länger oder kürzer.

Eigentlich also sollte ich es gewohnt sein, dass das Familienkaleidoskop oft neu geschüttelt wird und ich ein bisschen flexibel kochen muss. Aber im Moment schüttelt es mich mit. Vielleicht weil ich weiß: dieses Tischbild hier wird im Herbst final geschüttelt. Drei der Nestlinge werden wegfliegen. Endgültig.

Das ist das Leben. Genauso soll das sein. Warum sonst erklären wir Eltern die Selbstständigkeit der Kinder zu einem besonders wichtigen Erziehungsziel?

Aber nur weil etwas richtig oder natürlich ist, ist es ja noch nicht leicht. Wenn die Kleinen ihre Zähne bekommen, ist ja auch alles richtig. Und doch sorgt jedes einzelne durchbrechende Zähnchen für Schmerz und Tränen.

Noch sind alle Nestlinge da. Haben Hunger. Ich gehe dann mal Essen machen. Keine Ahnung, was mir das Familienkaleidoskop am Tisch heute zeigen wird. Oder Morgen. Oder im September. Sicher ist nur eines: nichts bleibt, wie es ist.

Und genau das ist: das Leben. Bunt und schön wie ein Kaleidoskop.