Wir sind doch viele. Eigentlich.

Lieder singen und über Abraham reden reicht nicht

Meine Schulzeit war von großartigen, meist ganz jungen Lehrern geprägt. Sie waren beseelt von einem großen Ziel: nie wieder Krieg. Und nie wieder eine menschliche Katastrophe wie den Holocaust.

 (DR)

In der Schule habe ich gelernt, dass es keine "die da oben" gibt, dass immer jeder einzelne verantwortlich ist. Also auch ich.

In der letzten Zeit frage ich mich, jeden Monat dringlicher, was dieses "nie wieder" denn heute bedeutet? Ist ja nicht so, als gäbe es gerade nichts zu tun. Bundestagsabgeordnete gefallen sich darin, die Verbrechen der Nazis als Fliegenschiss zu bezeichnen und ich stehe daneben, wenn Menschen die Schalterhalle der Bank verlassen, weil ein junger Mann aus Afrika dieselbe betritt.

Weil mich das alles so umtreibt, besinne ich mich auf meinen Beruf, frage Menschen, die sich auskennen. Z. B. befrage ich Prof. Josef Freise, auf einem Podium beim Katholikentag in Münster zum Hass rechter Politiker auf den Islam. Und den Islamwissenschaftler Mouhanad Korchide zum Hass von Islamisten auf unsere westliche Welt.

Die Antworten ähneln sich erschreckend: "Es geht um Identität, nicht um den Koran. Den haben die zwar alle in der Hosentasche, aber niemand hat ihn gelesen", sagt der Islamwissenschaftler. Während der Katholik Josef Freise Plakate aus dem Österreichischen Wahlkampf zeigt, in denen mit Nächstenliebe für „unsere Österreicher“ geworben wird. Interessant: seit wann sind die Nächsten nur die, die zur Nation gehören?

Beide, der Christ und der Muslim, warnen: der Muslim davor, immer nur bärtige Vertreter des politischen Islams in die Rundfunkräte und zu den gutgemeinten interreligiösen Treffen einzuladen. Der Christ davor, die Vertreter rechter und rechtsradikaler Thesen auszugrenzen. Nicht Nazis müssten raus, sondern die Nazidenke aus den Menschen. Sonst werde sich der Graben zwischen den Lagern nur immer noch größer.

Das Publikum hat viele Fragen. Ich auch. Meine wichtigste: wie kann das sein, dass wir so viele sind - und doch gleich von zwei Seiten, von den Rechten wie den Islamisten beherrscht werden sollen?  

Da kommt mir Hamed Abdel Samad gerade recht. Er ist Islamwissenschaftler, Publizist und Schriftsteller und kämpft leidenschaftlich für Integration. Sein neues Buch hat er: "Integration: Protokoll eines Scheiterns" genannt. Der Titel sei eine Warnung, "damit wir was tun."

Bleibt nur die Frage: Worauf warten wir eigentlich?