Sowohl als auch, statt weder noch

Die Spätsommerfrühherbstfamilie

"Wir sind heute alleine" sagt mein Mann, als ich aus dem herbstlich- trübkalten Garten reinkomme.

 (DR)

Mein Mann und ich. Zwei Leute im Haus. Sonst niemand. Ich kann mich nicht entsinnen, wann wir das zuletzt hatten.

Vor einem Jahr, als die drei Großen gleichzeitig in ihre eigenen Leben stiefelten, kam ich mir vor wie eine Drillingsmutter. Nur den Jüngsten noch zu Hause, sah ich ruhige Zeiten am Horizont. Weit gefehlt.

Irgendeiner kam immer vorbei: die Ganzgroße, die in Köln studiert, aber am Niederrhein jobbt, sowieso. Die Große studiert nur eine Autostunde entfernt und der Große kommt zwar selten aus Frankreich. Aber wenn, dann für länger.

Übers Jahr habe ich an diesem Kommen und Gehen Gefallen gefunden: immer neue Konstellationen, heißt immer andere Themen, immer andere Gespräche. 

Dieses Jahr sind wir noch um eine Gasttochter gewachsen: eine Freundin der Kinder aus Norddeutschland, die hier am Ort einen Freiwilligendienst machen wollte, ist für ein Jahr zu uns gezogen. Der Jüngste und die Gasttochter verstehen sich prächtig. Wenn die anderen zu Besuch kommen ist das Hallo jetzt noch größer.

So wie in der letzten Ferienwoche: alle Großen und der Jüngste waren da, dazu machte ein Patenkind Ferien bei uns, unsere Gasttochter war schon eingezogen und eine Schulfreundin der Kinder brauchte offene Ohren. Da war das Hallo wirklich sehr groß. Und der Kühlschrank, zweimal täglich, wirklich sehr leer.

Jetzt ist dieser Kühlschrank sehr voll. Zwei Menschen essen ja quasi: nichts. Während ich dieses Nichts zubereite, denke ich, wir sind als Familie gerade wie die Jahreszeit. Auf einen Morgen dichten Niederrheinherbstnebel folgt ein ganzer Tag Hochsommer. Gerade waren wir noch zu neunt um den Tisch, jetzt sind wir zu zweit.

Ich mag diese Jahreszeit, wenn schon Herbst ist, obwohl der Sommer noch nicht gegangen ist. Wenn genug Herbst ist, um zu verstehen, dass der Sommer wirklich vorbei ist. Und genug Sommer, um in Ruhe Abschied vom Licht nehmen zu können.

Und ich mag es, eine "Frühsommerherbstfamilie" zu sein: mit genug Stille, um zu verstehen, dass unsere Familienzeit fast vorbei ist, genug Trubel, um nochmal noch mal alles Leben in einer großen Familie zu fühlen.

Während ich das Essen auftrage, klingelt das Telefon. Die Große. Sie möchte auf eine Demo gegen Hetze und Rassismus im Ruhrgebiet. Und danach das Wochenende bei uns sein.