Alle zwei Jahre die Welt für mich alleine haben

Die große Ruhe

Ein ganzes Freibad für sich alleine haben. Auf der Autobahn von niemandem überholt werden. Obwohl Wochenende ist, lange am Schreibtisch arbeiten und niemand meckert. Gibst nicht? Doch, gibt es alle zwei Jahre.

WM-Ball auf dem Rasen / © Jussi Nukari (dpa)
WM-Ball auf dem Rasen / © Jussi Nukari ( dpa )

Alle zwei Jahre breitet sich, mindestens dreimal hintereinander, eine geradezu himmlische Ruhe in der Welt aus. Immer dann, wenn Fußball EM oder WM ist. Und Deutschland spielt.

Diese Woche war es wieder so weit, Termine mussten umgelegt oder neu verhandelt werden, denn alle haben sich zum Fußballgucken verabredet. Und eine Mischung aus Weihnachten und Karneval umgibt mich:

Weihnachten, weil um  ich eine „Wir warten aufs Christkind-, wie oft noch schlafen und Mama, wann geht es endlich los-Stimmung“ ist. Karneval, weil z.B. eine Kollegin aus ihrer Mittagspause mit lauter sorgfältig ausgesuchten Accessoires zurückkommt, die jeder Karnevalsparty wunderbar zu Gesicht stehen würde.

Alle freuen sich. Auf den Anpfiff, auf Fußballdeutsch und auf Party. Ich freue mich auch. Auf eine der schönsten Zeiten überhaupt. Wenn die Welt für zwei Stunden stillzustehen schein. Alle nur noch Augen für den schwarzweißen Ball haben, von dem alles, alles abhängt. Der über das Glück einer ganzen Nation entscheidet. Ganz alleine.

Dann, wenn alle Welt auf eben jenen schwarzweißen Ball zu starren scheint, habe ich die Welt für mich alleine.

Als vor einer Woche die Welt unterging, weil, wie ich mir habe sagen lassen, die deutsche Mannschaft im Spiel gegen Mexiko planlos auf dem Feld herumlief und den Ball immer am mexikanischen Tor vorbeigeschossen hat, hat mir im Freibad niemand meine Bahn streitig gemacht. Beim Wenden hatte ich keine Angst, dass mir grölende Minimachos auf den Kopf springen und in der Dusche brauchte ich auch nicht anstehen.

Während ich hin- und her schwimme, erinnere ich mich an lange Telefonate, abgearbeitete Schreibtischstapel und sagenhaft leere Autobahnen in den vergangenen Jahren. Ich seufze. Und will, ganz unbedingt, dass Deutschland nicht nur das dritte Gruppenspiel gewinnt.

Sondern Runde um Runde weiterkommt. Bitte, bitte!

Sonst gibt es womöglich am Ende die nächste „große Ruhe“ erst im Juli 2020.