oder: so schaffen wir das

Die Engelmafia

Ungestüm werde ich plötzlich von zwei Armen hochgehoben und durchs Wohnzimmer getragen. Mohamad ist so froh, dass er die die ganze Welt umarmen könnte und stattdessen mich ich in die Luft wirft.

 (DR)

Das Glück sprudelt Mohamad geradezu aus den Haarspitzen, weil er plötzlich einen Studienplatz bekommen hat. Die letzten Wochen waren für ihn, der schon in Aleppo drei Jahre Pharmazie studiert hatte, schwer. Mehr als 20 Absagen von Universitäten bekam er, während seine jüngere Schwester ihren Studienplatz schon seit August sicher hatte.

Im Nachrückverfahren, quasi in der letzten Minute bevor das Semester Mitte Oktober beginnt, hat Mohamad doch noch einen Platz in Mainz bekommen. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Unglaublich viel muss unglaublich schnell erledigt werden. Guter Rat ist teuer - denn, wo soll er wohnen?

Bang schaut Mohamad mich an. Für ein Hostel oder die Jugendherberge hat er beim besten Willen kein Geld. Ich denke an die letzten drei Jahre zurück, in denen es hunderte kleine und große Situationen gab, in denen Mohamad und seine Familie Hilfe brauchten: Fahrräder und Fahrradkleidung, Klassenfahrten und Schülertickets, Physiotherapie und so vieles mehr. Zu jeder Zeit konnten wir Freunde, Nachbarn, Eltern und Lehrer aus der Schule, Ärzte und Therapeuten ansprechen und gewinnen, Zeit und Zuwendung, Geld und Geborgenheit zu geben.

Das Netz, das um die Familie entsteht ist so dicht und stabil und einfach wunderbar, dass ich es die Engelmafia nenne. Mafia, weil mysteriös, untergründig, unglaublich gut organisiert und immer und überall zur Stelle. Engel, weil anders als bei der richtigen Mafia, die die Menschen terrorisiert und das Schlechteste aus ihnen hervorholt, es bei der Engelmafia genau anders ist: alle Menschen lassen das Beste von sich erscheinen, kleine und große Wunder möglich werden.

Ich verstehe: Das hier ist ein Engels- kein Teufelskreis.

Eine Übernachtung in Mainz scheint mir ein Fall für den Engelskreis. Uns fällt eine junge Frau ein, die als Freiwillige in den Armenvierteln von Chile gearbeitet hatte und jetzt in Mainz wohnt. Obschon auf einem Kongress in Berlin, meldet sich die junge Frau per Email: klar könne Mohamad fürs erste bei ihr wohnen.

Wir atmen auf. Wie sehr aber auf die Engelmafia Verlass ist, wird mir klar, als ich die Mail zu Ende lese.

Ich solle mir keine Sorgen machen: unterdessen arbeite sie in der Migrationsberatung und könne Mohamad in Mainz orientieren.