Meine Zeit ist mein Leben

Der Herbstmoment

Grauer Himmel, kühle Luft, auf die Erde segelnde Blätter. Es ist Herbst. Endlich.

 (DR)

Endlich, obwohl ich normalerweise jeden Kürbis und jeden frisch eingetroffenen Federweißer fürchte. Kündigen sie doch unerbittlich die kurzen und die kalten Tage an.  

Ich weiß, gerade erst habe ich an dieser Stelle über den Oktober erzählt. Aber so echt die Freude über sein goldenes Licht war, war sie doch nur ein Teil der Wahrheit. Mit jedem weiteren Tag, an dem die Sonne am Himmel länger von keinem Wässerchen getrübt wurde, wurde mir banger. Eben weil die Wässerchen ausblieben, der Rhein zum Rinnsal wurde und mein Mann in der zweiten Oktoberhälfte den Rasen sprengen musste.

Jetzt wo dieser nicht enden wollende Sommer endlich in seinen Herbst mündet, atme ich auf. Kurz. Denn nur weil der Herbst jetzt Kühle bringt, verschwindet kann ja nicht das heiße Eisen, das sich hinter der herbstlichen Sommerhitze der letzten Wochen verbirgt: ein sich wandelndes Klima auf einem sich erhitzenden Planeten.

Dringlich müsste die Kühle uns allen einen kühlen Kopf bescheren und wir massiv unsere Gewohnheiten ändern. Einiges passiert ja auch schon - immer mehr Menschen sind klimasensibel, verzichten auf Fleisch, protestieren gegen Kohlekraftwerke, tragen ihre Einkäufe statt in Plastiktüten wieder in Körben und Taschen nach Hause.

Auch ich werde  mich weiter bemühen, meinen Alltag klimafreundlicher zu machen. Aber ich weiß auch: das hier ist ein dickes Brett. Das Thema wird uns, unsere Kinder und auch unsere Kindeskinder in Atem halten.

Bis dahin kann aber, bei aller Dringlichkeit, der Klimawandel nicht ständig auf mir lasten. Während ich mit dem Hund durch die kalte Herbstluft laufe, fällt mir eine Szene ein. Jahre ist sie her.

Der Große, damals kein Jahr alt, spielte mitten auf dem Gehweg einer Autobahnraststätte mit Herbstlaub. Fasziniert und selbstvergessen. Für einen Moment dehnte sich der Bann um den kleinen Jungen und das bunte Laub bis zu mir.

Alle Zeit hob sich auf. Oder fiel sie in sich zusammen? Es gab nichts als Laub und Freude und diesen einen, einzigen Moment. Ein Stückchen Ewigkeit.

Warum mir dieser Moment jetzt einfällt: Meine Zeit ist mein Leben. Ich habe jeden Moment nur genau einmal.

Ich kann entweder den Klimawandel auf mir lasten lassen.

Oder den tanzenden Blättern zuschauen.