WunderBar

Aber wenn es doch ein Unmensch war? Vom Menschsein

Nach einer Lesung in einer Schule packe ich zusammen. Da kommen noch drei Jungs zu mir. Einer fragt: Aber was mache ich mit Unmenschen wie Hitler?

Musik und Geige verbinden Judith Stapf und Jerzy Gross / © Markus Bollen (ak)
Musik und Geige verbinden Judith Stapf und Jerzy Gross / © Markus Bollen ( ak )

Seit Jahren erzähle ich vor allem in Schulen die Geschichte von Jerzy, dem Jungen, der auf Schindlers rettender Liste stand.

Ich erzähle, dass Jerzy überleben konnte, weil es ein paar wenige Menschen gab, die in den für Jerzy entscheidenden Momenten einen Hauch mehr Mut als Angst hatten und so das Kind beschützten.

Ich erzähle, welchen Unterschied es macht, dass Hauptscharführer Müller den Jungen zum Hundeführer macht. Wenn Jerzy das Fressen für die Hunde in der Kantine holte, fiel immer ein bisschen Hundefutter für ihn und seine Familie mit ab.

Am Beispiel dieses SS-Mannes, der Jerzy wieder und wieder rettete – aber alle anderen nicht, spreche ich auch darüber, dass niemand nur schwarz oder nur weiß ist, sondern wir alle grau sind.

Dass wir, um im Bild zu bleiben, immer neu entscheiden, wieviel Kleckse mutiges Deckweiß wir in unsere schwarze Seele, in der die Ängste und der Kleinmut wohnen, mischen.

Ich erzähle, dass Menschen immer Menschen bleiben. Ganz gleich, was sie anderen Menschen angetan haben.  Und dass ich das Wort unmenschlich aus meinem Wortschatz gestrichen habe.

Denn auch noch so unmenschliche Dinge, wie einen Menschen erhängen, der vor lauter Hunger eine rohe Kartoffel gestohlen hat oder jüdische Wiegenlieder abspielen, während jüdische Eltern zuschauen, wie ihre Kinder deportiert werden, all das machen immer: Menschen.

Ich erzähle von den Spaltungen und Spannungen, die in unserer Gesellschaft zunehmen. Und dass wir sie nur alle zusammen verhindern können, wenn wir auch im unsympathischsten, unfairsten Gegner den Menschen sehen.

Aufmerksam und gebannt hören die 150 Schüler:innen an diesem Vormittag zu, stellen tolle Fragen, zeigen, dass sie mitdenken und mitfühlen.

Wie ganz am Ende die Frage nach Hitler. Der sei doch wirklich ein Unmensch gewesen.

Ganz schön große Frage für einen doch noch kleinen Jungen.

Aber er meint es ernst, will eine echte Antwort.

Also setzen wir uns noch mal auf die Treppe. Ja, auch Hitler war ein Mensch, kein Unmensch, kein Monster. Aber es war ein Mensch, der monströs grausame Dinge getan hat. Hilft das? Will ich wissen.

Der Junge nickt. Fest blickt er in meine Augen. Und, wie wunderbar, in seinen Augen sehe ich:

Er hat verstanden.