Wort des Bischofs

Neue Zeiten

In seinem aktuellen Bischofswort greift Kardinal Woelki eine neue Zeit-Verwendungsstudie auf und stellt fest: Lebenszeit ist verdammt kostbar. Seine Empfehlung: Mehr Zeit für den Nächsten!

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (KNA)
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki / ( KNA )

Wir Deutschen nutzen täglich fast dreieinhalb Stunden unserer Zeit für die Medien. In den letzten zehn Jahren ist die durchschnittliche Zeit, die wir Tag für Tag für Radio, Fernsehen, Computer und Smartphones nutzen, fast um eine halbe Stunde gestiegen. Das hat eine Studie des statistischen Bundesamtes ermittelt, die in diesen Tagen das Bundesfamilienministerium veröffentlicht hat. Wer die Möglichkeiten dieser schönen neuen digitalen Medienwelten aus eigener Erfahrung kennt, der wird sich über diesen Zeitzuwachs nicht wundern.

Es ist doch auch verrückt, was heute technisch alles geht. Großeltern skypen mit ihren Enkelkindern, auch wenn die auf der anderen Seite des Atlantik wohnen. Im Fernsehen sehen wir sportliche Großereignisse aus allen Perspektiven und sind näher dran, als in jedem Stadion und selbst unsere Bankgeschäfte wickeln wir längst digital über das Internet ab. Die neuen Medienwelten bieten uns scheinbar unbegrenzte neue Möglichkeiten. Die Zeit aber, die wir selber für Sport, für unser soziales Leben und den direkten Dialog investieren, ist in den letzten Jahren um eine viertel Stunde pro Tag zurückgegangen.

Unsere Mediziner warnen uns bereits, dass unserer Kinder sich viel zu wenig bewegen und gleichzeitig immer mehr essen. Gar nicht so einfach, für Eltern da gegenzusteuern. Immerhin verbringen heute die Väter mehr Zeit mit ihren Kindern. Doch vielleicht müssen wir alle gemeinsam unsere Zeit, die ja kostbare Lebenszeit ist, verantwortungsvoller im Blick haben?

Jede Stunde, jede Minute – ja jede Sekunde unseres Lebens, die wir mit anderen Menschen teilen ist doch so unendlich wertvoll. Gerade dann, wenn wir im Gegenüber immer auch die Schwester und den Bruder sehen. Auch von Gott geschaffen, auch von Gott geliebt. Zeit, die wir in unseren Nächsten investieren, ist nach meiner Erfahrung auf gar keine Fall eine verlorene Zeit. Denn wer seinen Nächsten liebt wie sich selbst, der erfüllt bekanntlich das wichtigste Gebot Jesu. Die Zeit, die wir Deutschen Tag für Tag im Dialog mit Gott stehen, also im Gebet mit Gott verbunden sind, wurde übrigens nicht eigens ermittelt. Null Minuten Gebet? Gar keine Zeit für Gott am Tag – kann das sein? Wie schön, dass man nicht unbedingt jeder Zahl einer Studie Glauben schenken muss.

Ihr

Rainer Woelki
Erzbischof von Köln