Wort des Bischofs

Traurig!

Immer noch sterben Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Über 1.400 Menschen sind es bereits in diesem Jahr. Für Kardinal Woelki ein untragbarer Zustand. Er fordert von Politik und Gesellschaft, nicht länger wegzuschauen und zu schweigen.

 (DR)

Traurig! (Videoversion)

Ich bin traurig, weil die von uns gewählten Politiker wochenlang darüber streiten, wie schutzsuchende Menschen möglichst effizient an unseren Grenzen abgeschoben oder zurückgewiesen werden können. Auch Politiker, die ihre Union sozial und christlich nennen. Während alleine in diesem Jahr im Mittelmeer schon wieder über 1.400 Flüchtlinge ertrunken sind, spielen die von uns gewählten Politiker eiskalt und selbstverliebt ihre Machtspielchen.

Ich bin traurig. Ich komme selber aus einer Familie, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen musste. Damals war allen klar: Leid und Elend, welches durch den Krieg wir Deutsche zu verantworten hatten, darf sich niemals wiederholen. Gerade wir Deutsche haben eine ganz besondere Verantwortung für Flüchtlinge! Doch heute als reiches Land zahlen wir lieber viele Milliarden für Abschottung und Grenzschutzanlagen, anstatt Ertrinkende zu retten und  Schutzsuchenden eine neue Heimat zu geben!

Ich bin traurig. Ich bin aus fester Überzeugung Europäer. Aber ich finde es erbärmlich, wie 28 europäische Staaten sich nur noch darauf einigen können, ihre Grenzmauern und Zäune höher zu ziehen, damit Flüchtlinge, die uns angeblich bedrohen, draußen bleiben. Wie wollen wir denn unsere europäischen Werte wie Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit verteidigen, wenn wir allen Ernstes mit afrikanischen Staaten oder der Türkei über Auffanglager und Abschiebegeschäfte verhandeln?

Als Bischof, da kann man von mir erwarten, dass ich mich für christliche Werte, für Barmherzigkeit und Nächstenliebe stark mache. Im Moment gehen uns aber in Deutschland und Europa nicht nur die christlichen Werte verloren. Nein, es gehen uns die grundlegenden Menschenrechte immer mehr verloren.

Ich weiß, viele – nein die breite Mehrheit hier bei uns in Köln, in Deutschland und Europa, die will nicht, dass ihr Mittelmeer mit jetzt schon über 35.000 ertrunkenen Flüchtlingen zum größten Friedhof Europas wird. Die große breite Mehrheit, die hat keine Angst vor Schutzsuchenden, die hat kein kaltes Herz der Angst. Die große Mehrheit will helfen. Da hat sich keine Stimmung gedreht, davon bin ich überzeugt. Aber diese große breite Mehrheit, die darf jetzt nicht mehr länger wegsehen und schweigen! 

Ihr

Rainer Woelki
Erzbischof von Köln

 

Anmerkung der Redaktion: Zum Wort des Bischofs existiert in dieser Woche auch eine ausführlichere Version, die über Print verbreitet wird. Lesen Sie diese hier nachfolgend:

 

Traurig! (Printversion)

Die letzten beiden Wochen haben mich tief beunruhigt. Unsere Regierung war nahezu zwei Wochen lang handlungsunfähig und in einem Streit darüber gefangen, wie schutzsuchende Menschen möglichst effizient an unseren Grenzen zurückgewiesen werden können. Während alleine in diesem Jahr im Mittelmeer schon wieder über 1.400 Flüchtlinge ertrunken sind, können sich Politiker nicht auf tragbare und humane Lösungen verständigen.

Ich bin traurig. Ich komme selber aus einer Familie, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen musste. Damals war allen klar, das Leid und Elend, welches wir Deutsche durch den Krieg zu verantworten haben, darf sich niemals wiederholen. Gerade wir Deutsche haben eine ganz besondere Verantwortung für Flüchtlinge.

Ich bin aus fester Überzeugung Europäer. Deshalb finde ich es befremdlich, dass 28 europäische Staaten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können, das den Werten Europas gerecht wird. Wie wollen wir denn Werte wie Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit glaubwürdig in der Welt vertreten, wenn wir Fragen von Flucht und Migration in erster Linie als Gefahr wahrnehmen und jeder darauf bedacht zu sein scheint, die Herausforderungen auf einen anderen Staat oder gar einen anderen Kontinent zu verlagern?

Als Bischof muss ich mich für christliche Werte, für Barmherzigkeit und Nächstenliebe stark machen. In den "Antworten auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen und Migranten" des Vatikans, werden diese Werte konkretisiert. Sie werden unter den Stichwörtern "aufnehmen, schützen, fördern und integrieren" zusammengefasst. Neben der Ausweitung und Schaffung sicherer und legaler Zugangswege muss ein fairer und transparenter Umgang mit den Schutzsuchenden gewährleistet sein. So sagte Papst Franziskus: "Eine verantwortungsbewusste und würdevolle Aufnahme … unserer Brüder und Schwestern beginnt bei ihrer ersten Unterbringung in einer angemessenen und würdigen Unterkunft. Die großen Ansammlungen von Asylsuchenden und Flüchtlingen haben keine positiven Ergebnisse gezeigt, sondern vielmehr neue Situationen der Verletzlichkeit und des Unbehagens erzeugt."

Außerdem muss es unser Ziel sein, eine nachhaltige und langfristige Strategie in der Entwicklungszusammenarbeit zu entwickeln, die auch die vorhandenen Potentiale erkennt und fördert. Dies ist jedoch unter keinen Umständen zur kurzfristigen Fluchtursachenbekämpfung geeignet.

Ich weiß, viele – nein die breite Mehrheit hier bei uns in Köln, in Deutschland und Europa will nicht, dass ihr Mittelmeer mit jetzt schon über 35.000 ertrunkenen Flüchtlingen zum größten Friedhof Europas wird. Die große breite Mehrheit hat keine Angst vor Schutzsuchenden. Die große Mehrheit will auch weiterhin helfen. Die Diskussion entzündet sich hierbei eher daran, wie eine nachhaltige Hilfe aussehen sollte. Da hat sich keine Stimmung gedreht. Aber diese große breite Mehrheit darf jetzt nicht länger wegsehen und schweigen. Es geht um unser Land. Es geht um Europa, seine Werte, seine Würde!

Ihr
Rainer Woelki
Erzbischof von Köln


Quelle:
DR