Wort des Bischofs

Fressen und gefressen werden

Fressen und gefressen werden – das mag im Tierreich gelten. Wir Menschen aber sind Kinder des Lichtes und der Liebe Gottes! Der Wochenimpuls von Kardinal Woelki!

 (DR)

"Fressen oder gefressen werden? So ist das Herr Kardinal – verschonen Sie mich mit Ihren frommen Sprüchen!" Nein, das werde ich nicht. Denn ich glaube das einfach nicht: Klar, die süßesten Früchte, die fressen nur die großen Tiere. Oder, wenn es der Volksmund noch drastischer will: Der Teufel, der macht immer auf den größten Haufen! Es scheint eine menschliche Erfahrung zu sein, dass der Starke immer gewinnt. Noch schlimmer: Der Starke, der Fiesling, der wird in der Regel oft noch belohnt für sein schlimmes Verhalten. Ist der Ehrliche nicht immer der Dumme? Für Tiere mag das ja gelten – bei uns Menschen gilt das garantiert nicht. Klar, auch ich kenne unangenehme Zeitgenossen, die alles an sich raffen. Die immer noch mehr haben wollen. Die den Hals nie voll genug bekommen. Kleine Gauner und große Verbrecher. Aber auch, wenn unsere Zeitungen und Nachrichten voll von Übeltätern sind – im wirklichen Leben begegnen mir viel mehr Menschen, die es gut meinen. Mütter und Väter, die sich liebevoll und geduldig um ihre Kinder kümmern. Ehrenamtliche, die Armen und Obdachlosen helfen. Nachbarn, die sich in ihrer Freizeit für Flüchtlinge engagieren, obwohl das jetzt nicht mehr "in" ist. Familienangehörige, die bis an die Grenze ihrer eigenen Erschöpfung sich um ihre alten Eltern kümmern, die nicht mehr allein zurechtkommen.

Nein, diese Welt kennt viel mehr Licht als Schatten. Wir müssen nur die Augen aufhalten. Die Liebe, die ist stärker als der Tod. Diese urchristliche Botschaft gilt nicht erst am Ende der Zeit, sie zeigt sich schon hier und heute und immer wieder neu. Fressen und gefressen werden – das mag im Tierreich gelten. Wir Menschen sind Kinder des Lichtes und der Liebe Gottes.

Ihr
Rainer Woelki
Erzbischof von Köln