Kölner Katholiken kritisieren Bistumsspitze für Aufarbeitung

Online-Demonstration

Kritik an der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln haben Laien und Betroffene geäußert. In einer Online-Demonstration am Samstag wurden auch Rufe nach personellen Konsequenzen laut. 

Online-Demonstration (privat)
Online-Demonstration / ( privat )

"Es herrscht Wut, es herrscht Enttäuschung, es herrscht Resignation und das hat leider auch die Mitte unserer aktiven Gläubigen erreicht", sagte der Vorsitzende des Katholikenausschusses Köln, Gregor Stiels. Die stellvertretende Diözesanrats-Vorsitzende Bettina Heinrichs-Müller hob hervor, die Kölner Bistumsleitung sei mit einer angemessenen Aufarbeitung überfordert, zudem fehle es an Einsicht. "Dann sind sie nicht die richtigen handelnden Personen", fügte sie hinzu.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte zuvor angekündigt, dass er Vertuschungsvorwürfe gegen ihn vom Papst prüfen lassen will. "Um die gegen mich erhobenen kirchenrechtlichen Vorwürfe zu klären, bitte ich den Heiligen Vater um eine Prüfung in dieser Frage", teilte Woelki am Freitag mit. "Es bleibt dabei: Versäumnisse im Umgang mit sexualisierter Gewalt müssen offengelegt werden, unabhängig davon, gegen wen sie erhoben wurden. Dies bezieht auch mich ein."

Forderung nach unabhängiger Aufarbeitung

Anlass für den Schritt des Kardinals ist der Vorwurf, er habe im Jahr 2015 einen früheren Fall schweren sexuellen Missbrauchs durch einen Priester pflichtwidrig nicht nach Rom gemeldet und keine Voruntersuchung eingeleitet. Zuvor hatte der Umgang mit Missbrauchsstudien im mitgliederstärksten Bistum Deutschlands für Diskussionen gesorgt.

Bei der Online-Demo forderte der frühere Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Patrick Bauer, Aufarbeitung und moralische Beurteilung vollständig in unabhängige Hände zu legen. Die Bistumsspitze und die Interventionsstelle der Erzdiözese hätten eine Mauer des Schweigens aufgebaut, kritisierte der zweite ehemalige Sprecher Karl Haucke. Er forderte Kardinal Woelki auf, diese Mauer einzureißen.

Verzweifelte Verzögerungstaktik?

Haucke und Bauer hatten den Betroffenenbeirat im Erzbistum verlassen, da sie sich vorgeführt fühlten. Ende Oktober hatte die Erzdiözese mitgeteilt, dass sie ein neues Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen beim Kölner Strafrechtler Björn Gercke beauftragt habe. Es solle bis 18. März vorliegen. Das bereits fertige Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl enthalte "methodische Mängel" und werde daher vorerst nicht veröffentlicht.

Die Live-Übertragung der Protestveranstaltung auf Youtube und Facebook wurde von der Reforminitiative Maria 2.0 und dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) im Erzbistum Köln organisiert. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte, vor allem der frühere Kardinal Joachim Meisner sowie sein damaliger Generalvikar und heutige Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp seien gefühllos mit Opfern umgegangen und hätten "das Recht systematisch gebrochen".

Schüller sprach von einer verzweifelten Verzögerungstaktik der aktuellen Bistumsspitze: Das Gercke- und das Westpfahl-Gutachten würden dieselben Ergebnisse bringen. 

Im Wortlaut

Martin Philippen, Vorsitzender des Katholikenrates der Stadt Düsseldorf  
"Was ich in den letzen Tagen mitbekommen habe - diese ganze Dinge schocken nicht zutiefst... So wie sich unsere Kirche nach Außen hin präsentiert - weltfremd, geschlossen und unbeweglich stehen uns noch viel mehr Austritte bevor, als wie sie schon in den letzten Jahren erlebt haben. Bei uns vor Ort sieht Vieles aber ganz anders aus. Ich erlebe in den Gemeinden viel Engagement und Gemeinschaft - also das, was Kirche eigentlich ausmacht! All das wird jetzt aufs Spiel gesetzt!" 

Pfarrer Dirk Peters, Schulseelsorger Ursulinenschule Köln 
"Stichwort Frauenweihe: Ich kann aufgeklärten Schülerinnen und Schülern des 21. Jahrhunderts das nicht mehr erklären - und ich will es auch nicht. Wenn eine schonungslose Aufklärung versprochen, aber nicht eingehalten wird und damit Opfer ein weiteres Mal instrumentalisiert werden,  dann gibt es eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen die sagen: Ich will das nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren - ich halte mein Gesicht nicht mehr für diese Kirche hin. So nicht, wie sich die Kirche bei uns präsentiert. Wenn die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit so eklatant ist - was sollen Christen dann tun? Wegsehen? In die innere Emigration gehen? Für mich kann es nur eines geben: Hinsehen statt Wegsehen, Aufstehen statt Sitzenbleiben, Reden statt Schweigen. Unendlich viel Vertrauen ist schon verloren gegangen. Die Glaubwürdigkeit der Kölner Kirche ist wirklich auf dem Nullpunkt. Ich will nicht, dass unsere Kölner Kirche bleibt wie sie ist - weil ich will, dass sie bleibt!"

Gregor Stiels, Vors. Katholikenausschuss der Stadt Köln 
"Durch das aktuelle Handeln und die desaströse Kommunikation hat die katholische Kirche weiter massiv an Glaubwürdigkeit verloren und gibt in der Öffentlichkeit ein katastrophales Bild ab. Das möchten wir so nicht hinnehmen können und Konsequenzen folgen müssen.

Aufgrund der geschilderten Ereignisse haben wir Zweifel, ob aus dem System der herrschenden Bistumsleitung, aus eigener Kraft heraus eine notwendige Umkehr und ein Neuanfang zugunsten von Auflärung, Recht und Gerechtigkeit möglich ist. Wenn dies nicht möglich ist, müssen weitere Schritte bedacht werden, wie zum Beispiel die Installierung einer kirchlich-unabhängigen Wahrheitskommission." 

Bettina Heinrichs-Müller, Stellv. Vors. Diözesanrat Köln
"Es ist Zeit aufzudecken: Täter und Selbstschutz, Lügen, Vertuschung, Druck zu Schweigen, Manipulation, Willkür, Ausschluss Andersdenkender, Kadavergehorsam aufgrund des Glauben und Treueid, Männerbündisches Verhalten derer, die sich kennen, achten und schützen ... Kurzum: Systemische institutionelle Machtstrukturen ... Es sind immer die gleichen Erfahrungen, die Menschen, die mit dem Kölner System zu tun bekamen, erzählen - darüber müssen wir sprechen!" 

Pfr. Dr. Meik Schirpenbach, Leitender Pfarrer für Grevenbroich und Rommerskrichen
"Wir Pfarrer sollen dann die Gespräche mit den Ausgetretenen führen. Aber was soll ich denn zu Dingen sagen, für die ich nichts kann? Ich möchte als Priester nicht in Sippenhaft genommen werden für etwas, was meine Kirchenleitung zu verantworten hat. Haben wir heute als Kirche überhaupt noch die nötige missionarische Kraft? Die aktuellen Skandale gehen an die Glaubenssubstanz... Wir haben einen tödlichen Mix aus Skandalen, Selbstgerechtigkeit und Beharren auf Nebensächlichkeiten - der alle unsere positiven Sprachrohre verstellt.... Was mir Hoffnung gibt, ist, dass ich viele Rückmeldungen bekomme von Menschen die mir sagen - ja wir sehen das auch so!"

Patrick Bauer, Gefängnisseelsorger JVA Siegburg, ehem. Sprecher Betroffenbeirat EB Köln
"Ich habe es erleben müssen, dass das Presseamt des Erzbistums Köln Presseanfragen zu meiner Person beantwortet hat, ohne mich selbst dazu zu fragen, weil man der Meinung war, das wäre besser für mich. Wenn jemand meint, etwas wäre ‚Besser für mich!‘ - liebe Leute, in allen Bistümern dieser Welt - das ist Tätersprache! Das ist das, was Täter zu uns gesagt haben, wenn sie uns missbraucht haben: ‚Das ist gut für dich, ich weiß besser für dich, was gut ist.‘ Das ist das, was das Erzbistum Köln mit uns gemacht hat am 29.10.2020. Sie haben uns gesagt, es sei besser für uns, wenn wir nicht veröffentlichen. ... Meine Forderung: Gebt den kompletten Prozess der Aufarbeitung in unabhängige Hände. Überlasst die ethische und moralische Beurteilung externen unabhängigen Fachleuten!" 

Peter Otten (Pastoralreferent St. Agnes Köln) 
"Legen wir also unsere Angst ab und nehmen wir Partei für die Menschen, die unsere Parteinahme ohne Wenn und Aber benötigen. Lassen wir es an keiner Stelle zu, dass Menschen in unserer Kirche erneut missbraucht werden. Legen wir Diskriminierung offen. Übrigens auch sexualisierendes und missbräuchliches Sprechen. Es kann doch nicht sein, dass in unserem Bistum immer noch Impulse im Internet gehalten werden können, wo ein Mann sagt: ‚Maria hat sich ihm ganz hingegeben.‘ Sorry, aber das geht nicht mehr."

Prof. Dr. Thomas Schüller (Kirchenrechtler Münster)
"Die Sache einfach nach Rom zu schicken, wie es Erzbischof Heße und Erzbischof Woelki jetzt gemacht haben, ist eine plumpe Strategie, die darf man nicht durchgehen lassen... Aber wir sehen auch, Papst Franziskus wendet in Rom mit aller Klarheit die Normen gegen den sexuellen Missbrauch an. Und als aufrechter Christ kann auch jeder immer wieder selber die Stimme erheben und sich auf die Seite derer stellen, die unter die Räder gekommen sind - hier eben die Betroffenen. Das ist die Botschaft von Weihnachten."

Maria Mesrian, Maria 2.0
Wir betreten heute Neuland. Wir brechen das Schweigen, wir überwinden die Angst vor der freien Rede, die die Menschen im Erzbistum Köln seit Jahrzehnten im Griff hatte. Wir sehen Machtmissbrauch und Hartherzigkeit in vielen Facetten. Hier geschieht Unrecht. Die Basis in den Gemeinden vor Ort, wo Tag für Tag wertvolle Arbeit geleistet wird, wendet sich ab. Die Gläubigen haben in unzähligen Briefen an das Bistum ihrer Wut und Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen. Seelsorgerinnen und Seelsorger sind verzweifelt, weil ihre Arbeit durch das Verhalten der Leitung ad absurdum geführt wird. Bis in die Leitungsebenen des Bistums sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verunsichert. Wir können nicht weiter schweigen, wenn Menschen weiterhin von hohen Amtsträgern in ihrer Würde verletzt werden, wenn Vertuschung weiter geschieht, wenn konstruktive Kritik abgewürgt wird. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind die Grundpfeiler der christlichen Botschaft. Das Verhalten der Bistumsleitung verdunkelt die Botschaft des Evangeliums.

Es ist unsere Pflicht als Christinnen und Christen unserem Gewissen zu folgen und jetzt laut unsere Stimmen zu erheben. Unsere vermeintliche Ohnmacht angesichts dieses Systems wird zur Wirkmacht. Sie wird die Veränderung bewirken. Denn wir sind die Veränderung, die wir uns für diese Kirche wünschen. Es ist unsere Kirche.

Volker Andres, BDKJ-Diözesanvorsitzender Erzdiözese Köln

„Das Vertrauen in die Leitungsverantwortlichen des Erzbistums ist massiv erschüttert. Auch zehn Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des riesigen Ausmaßes von sexualisierter Gewalt in der Kirche ist immer noch nicht deutlich, dass die Opfer der Gewalt wichtiger sind, als ein vermeintlicher Schutz der Institution.

Es geht bei der Aufarbeitung und dem Umgang mit Missbrauch nicht nur um die Benennung der Verantwortlichen, sondern auch um die besonderen Risikofaktoren für Missbrauch in der Kirche: Klerikalismus, Überhöhung von Geweihten, hierarchische Machtstrukturen, Spiritualisie- rung und Verschleierung tatsächlicher Macht, der Ausschluss von Frauen von bestimmten Leitungspositionen, der unterdrückte Umgang mit Sexualität bei der Priesterausbildung. Sie sind schon lange bekannt und werden doch nicht angegangen!“ 

Karl Hauke, ehemaliger 2. Sprecher Betroffenenbeirat Köln

„Die bekannten Akteure sind das Vertuschungsnetzwerk in Köln sowie die kaputt-gebrauchten und deshalb zurückgetretenen Mitglieder des Betroffenenbeirates. Ich möchte heute auf weitere Akteure hinweisen. Da ist, als Geschäftsstelle des Betroffenenbeirates, die Stabsstelle Intervention des Erzbistums. Ich weise ausdrücklich darauf hin: Ich spreche nicht über die Koordinationsstelle Prävention, in der hochkompetente Mitarbeiter wirken. Im Unterschied zur Interventionsstelle, welche dem gesamten Geschehen, das einige von uns krank gemacht hat, ungerührt zugesehen hat.

Wo blieb die Intervention, als die Abhängigkeit einzelner Mitglieder des Beirates vom Wohlwollen des Kardinals eingesetzt wurde für machtpolitische Zwecke?
Wo waren diese Mitarbeiter*innen, als sie von der erneuten Beschädigung, von der Aktualisierung jahrzehntealter Missbrauchserfahrungen hörten?
Wo blieben jene, die einmal als Anwälte Betroffener angetreten sind? Schweigend zuschauen und danach Supervision anbieten - das ist feige und zynisch.
Zu all dem hat die auf dem Papier mit einem Schutzauftrag ausgestattete Interventionsstelle geschwiegen. Dieses Schweigen ist die aktive Verweigerung, den Schutzauftrag zu erfüllen!“

 

Quelle:
DR , KNA