Glocken im Wandel der Zeit

Vom akustischen Signalgeber zum liturgischen Musikinstrument

Klang- und Zeitreise durch die Welt der Glocken von den Anfängen in China und Fernost bis hin zu den Glocken Europas unserer Zeit; dazu glockeninspirierte Chor- und Instrumentalmusik bekannter und weniger bekannter Komponisten.

Neue Glocken der Kölner Antoniterkirche / © Jan Hendrik Stens (DR)
Neue Glocken der Kölner Antoniterkirche / © Jan Hendrik Stens ( DR )

An Weihnachten sind sie wieder zu hören: Feierliche Glockenklänge von unseren Kirchtürmen. Für manchen Zeitgenossen fehlt etwas elementares, wenn nicht zu hohen Feiertagen der "decke Pitter" im Kölner oder die "Gloriosa" im Erfurter Dom läutet. Aber haben Glocken immer schon so geklungen, wie wir es heute gewohnt sind? Um die Ursprünge der Glocke zu erkunden, ist eine Reise in die vorchristliche Zeit erforderlich. Schon antike Hochkulturen kannten Glocken und Glöckchen, die entweder dem Schmuck dienten oder auch kultischen Charakter hatten. Als Musikinstrumente benutzte man mehrere Glocken in China als Glockenspiel, während die großen Tempelglocken eher einen gonghaften Klang haben.

Gotische Dreiklangrippe

Durch die iro-schottische Mission kam dann die Glocke nach Mitteleuropa. Aus dieser Zeit sind noch einige aus Eisenblech zusammengenietete Glocken erhalten geblieben, darunter der "Saufang" im Kölner Museum Schnütgen aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. Als älteste datierte Bronzeglocke Deutschlands gilt die "Lullusglocke" aus dem Jahr 1038 in der Stiftsruine in Bad Hersfeld, die zu ausgewählten Terminen im Jahr mittags um 12 Uhr geläutet wird, so auch am Weihnachtstag. Zu den ältesten Glocken des Rheinlands zählen zwei romanische Exemplare aus dem 12. Jahrhundert in Mintard (Stadt Mühlheim an der Ruhr) und Odenthal. Im Hochmittelalter gewann die Glockenform allmählich die Gestalt, die wir heute kennen und näherte sich dem vertrauten harmonischen Klangideal an, der gotischen Dreiklangrippe. Frühe Exemplare sind die "Christusglocke" des Essener Münsters aus dem Ende des 13. Jahrhunderts sowie die "Heinrichsglocke" des Bamberger Domes aus dem Jahr 1311. Jedoch bedeutet das nicht, dass nun jede Glocke der strichreinen Molloktav entsprach. In diesem Jahr feierte die Große Marienglocke der Großen Marienkirche in Lippstadt ihren 600. Geburtstag. Ihr vornehmer Klang wird geprägt durch die Unterseptime und die zu einem Ganzton vertiefte Prime.

Kölner Gießer

Die Kölner Glockengießer waren in einer Zunft vereinigt und hatten ihr festes Territorium, wo sie die Aufträge erhielten. Doch mit großen Glocken hatten sie wenig Erfahrung. Das zeigte sich, als 1448 der Guss der "Pretiosa" für den Kölner Dom erst beim vierten Mal gelang, dafür aber in einer Schönheit, die auch uns heute noch Staunen und Bewunderung abverlangt. Als ein Jahr später schließlich die kleinere "Speciosa" auch neu gegossen werden sollte, kapitulierten die Kölner und traten den Auftrag freiwillig an den Niederländer Johann Hoernken aus Vechel ab. Niederländische Glockengießer waren am Ausgang des Mittelalters am erfahrendsten mit der Anfertigung tontiefer Glocken und dem Einfügen von Neugüssen in vorhandene Geläute. Es entstand in dieser Zeit das Glockenensemble, das die Glocke als reguläres Soloinstrument ablöste.

Glocken und Kanonen

So wie Krieg und Frieden sich abwechselten, waren auch Bronzegießer mal mit dem Fertigen von Glocken und ein anderes Mal mit dem Liefern von Geschützen beauftragt. Das Frankfurter Domgeläut wurde aus erbeuteten Kanonen des deutsch-französischen Krieges gegossen und zählt zu den monumentalen Geläuten des 19. Jahrhunderts. Glocken zu Kanonen oder Kanonen zu Glocken galt allerdings nicht mehr in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Da war die Waffenindustrie vor allem hinter dem Zinn her, weshalb nach 1918 und 1945 die Anbieter von Glocken aus Ersatzwerkstoffen Hochkonjunktur hatten. Doch so manches Geläut aus Gussstahl oder Sonderbronze lässt aufhorchen, wie die Domgeläute von Paderborn und Osnabrück sowie das der Stiftskirche in Baden-Baden zeigen.

Neugüsse selten geworden

Inzwischen sind die meisten Lücken, die der Zweite Weltkrieg auf den Kirchtürmen gerissen hat geschlossen. Viele Gießereien, die in den Jahrzehnten nach 1945 alle Hände voll zu tun hatten, mussten ihren Betrieb einstellen. Nicht wenige der verbliebenen sind längst vor allem auf dem Sektor Kunstguss tätig. Umfangreiche Neugüsse sind seltene Ereignisse geworden. Dennoch gibt es sie auch heute noch: In den Jahren vor und nach der letzten Jahrtausendwende entstanden die 13 Glocken des Mindener Domes. Das Hildesheimer Domgeläut wurde erst 2013 komplettiert und Paderborn rüstet derzeit nach. Im November wurde die große Christus-Friedensglocke mit einem Gewicht von über 13.000 kg gegossen, die im kommenden Jahr erstmals erklingen wird und dann in Nordrhein-Westfalen direkt nach der Petersglocke des Kölner Domes Rang zwei einnimmt. Bereits im vergangenen Jahr wurde in Innsbruck eine 25 Tonnen schwere Glocke für Bukarest gegossen, die Ende 2018 die Kölner Petersglocke als größte freischwingende Glocke der Welt ablösen soll. Der "decke Pitter" wird gemeinsam mit seiner Bukarester Rivalin zu hören sein. Und auch die jüngsten Glocken Deutschlands sind in der Sendung zu hören: Erst kurz vor Weihnachten erklangen die neuen Geläute in Salzkotten und der Kölner Antoniterkirche.

Abgerundet wird die Sendung durch glockeninspirierte Musik von Ludwig Senfl, Max Bruch, Richard Wagner und Charles Ives.

Moderation: Jan Hendrik Stens


Die neue Glocke für Bukarest / © Gabriel Grassmayr (Glockengießerei Grassmayr)