Über den Einsatz von "Jugend rettet"

Nächstenliebe auf hoher See

"Jugend rettet" kämpft mit einem eigenen Schiff um das Überleben der Mittelmeerflüchtlinge. Eine gefährliche Mission, die sich lohnt.

Seenotretter "Iuventa Jugend Rettet"  / © Iuventa Jugend Rettet/ (dpa)
Seenotretter "Iuventa Jugend Rettet" / © Iuventa Jugend Rettet/ ( dpa )

Acht junge Deutsche wollten nach dem großen Unglück vor Lampedusa mit Hunderten von Toten im Jahr 2015 dem Elend der Mittelmeerflüchtlinge nicht weiter tatenlos zuschauen. Und schnell war ihnen klar, ein Schiff musste her. Da sie keine Ahnung von der Seefahrt hatten, holten sie Rat und Hilfe bei anderen Hilfsorganisationen und Experten. "Da haben die erst einmal gelacht", bekennt Pauline Schmidt, Mitbegründerin von Jugend rettet. Doch nur wenige Monate nach Vereinsgründung am 3. Oktober 2015 hatten sie genug Geld und Knowhow gesammelt und konnten den Kaufvertrag für einen 60 Jahre alten Kutter unterschreiben. Schon Ende Juli 2016 starteten sie mit ihrem Schiff Juventa und stachen mit ausgewählten Freiwilligen in See. 1388 Flüchtlinge in Seenot konnten bei dieser ersten vierzehntägigen Mission gerettet werden. "Wir haben gelernt, wie notwendig unser Einsatz ist," fasst Pauline Schmidt zusammen.

Gefährliche und belastende Mission

Jeden Monat gehen zwei Missionen für zwei Wochen auf Rettungskurs auf dem Mittelmeer. Die Crewmitglieder werden für jeden Einsatz sorgfältig ausgewählt, denn ihnen stehen große Belastungen bevor. Sie müssen das Elend und den Tod verarbeiten, mit der sie auf hoher See konfrontiert sind. Am schlimmsten war das Osterwochenende im Jahr 2017, als Kapitän Kai Kaltegärtner einen Seenotruf aussenden musste. Zu viele Flüchtlinge brachten das Schiff Juventa wie auch die jungen Helfer an Bord weit über ihre Belastungsgrenze. Doch jede Mission ist eine Herausforderung, denn die kleinen, oft grauen Schlauchboote, auf denen die Flüchtlinge übers Mittelmeer geschickt werden, sind schlecht zu sichten, erzählt Julian Pahlke, der auf dem Schlauchboot als erster den Kontakt zu Flüchtlingen in Not erlebt. Sogar auf der Brücke mit Fernglas ist es nicht selten eine nervenaufreibende Suche und ein Wettlauf mit der Zeit. "Neuerdings schicken die Schlepper sehr viele Boote auf einmal in einem sehr breiten Gebiet los, und dann kommt der Druck, schaffen wir es, das Boot rechtzeitig zu finden, bevor es sinkt," erzählt Kapitän Kaltegärtner. An Ostern mussten sie erleben, wie vor ihren Augen Menschen ertrunken sind. Besonders schwierig wird die Situation, wenn die Geflüchteten den Rettern entgegen ins Wasser springen, obwohl sie viel zu erschöpft sind, sich über Wasser zu halten. Und  immer wieder stellt sich der Crew die Frage, haben wir genug getan.

Stressmanager im Einsatz

Was die jungen Freiwilligen an Bord der Juventa bei ihren Rettungseinsätzen auf dem Mittelmeer erleben, ist nicht leicht zu verarbeiten. Schon vor ihrem Einsatz werden sie nicht nur für die Rettungsabläufe geschult, sondern auch psychologisch auf belastende Erlebnisse vorbereitet - so weit das möglich ist. Auf keinen Fall sollen die Crewmitglieder nach dem Einsatz mit ihren Erlebnissen an Bord der Juventa alleingelassen werden. Stressmanager sind vor Ort, wenn sie in Malta anlegen. Ihre Arbeit wird von der evangelischen Kirche Bayern und vom Erzbistum München-Freising finanziert. In Gruppengesprächen und auf Wunsch auch in Einzelgesprächen wird über alles gesprochen, was die Crewmitglieder erlebt haben. Positive Erlebnisse an Bord helfen, die traumatischen Bilder im Kopf zu verarbeiten, weiß Stressmanager Thomas Barkowski: "Zum Beispiel so ein Bild: wir konnten die Menschen, die auf dem sinkenden Boot waren, gesund herunterholen und in Sicherheit bringen. Oder das Lächeln auf dem Gesicht eines Flüchtlingsmädchens, das Bild von einem Kind, das begonnen hat an Bord zu spielen oder die Erinnerung an eine Frau, die ein Lied anstimmt und alle singen mit." Für manche Crewmitglieder ist es schwer, sich nach einem Einsatz zu Hause mit der Banalität des Alltags zu arrangieren. Auch dann können sie sich an die Stressmanager finden. Trotz dieser belastenden Erfahrungen, gehen viele wieder in den nächsten Einsatz auf dem Mittelmeer. "Die Allermeisten empfinden eine tiefe Sinnhaftigkeit in dem, was sie tun," weiß Barkowski aus den Gesprächen mit Crewmitgliedern.  

Politischer Gegenwind

Das Team von Jugend rettet erhält zum Teil heftigen Gegenwind für ihre Arbeit. Es wird Ihnen zum Beispiel vorgeworfen, durch Ihre Rettungsaktionen nur noch mehr Flüchtlinge anzulocken, die die gefährliche Mittelmeerfahrt wagen wollen, und damit das Schleppergeschäft anzuheizen - auch Pull-Faktor genannt. Pauline Schmidt vom Gründungsteam kann diese Kritik nicht verstehen, denn eine Studie der Oxford University belege, dass die Zahl der Mittelmeerflüchtlinge nicht durch die Rettungsmissionen von Nichtregierungsorganisationen gestiegen ist. „Dieser Pull-Faktor lässt auch außer Acht, dass wir in einer Welt leben, die leider viele Leute systematisch ausbeutet und wir in Europa klar einer der Fluchtgründe sind, weil wir billige Produkte kaufen wollen.“

Unterstützung durch die christlichen Kirchen

Jugend rettet ist sehr dankbar über die Unterstützung durch die christlichen Kirchen, "nicht zuletzt durch die öffentlichen Statements vom Papst", sagt Pauline Schmidt. Der evangelisch-lutherische Seemannspastor Meenke Sandersberg aus Emden hatte Mitglieder von Jugendrettet in seinem Seemannsheim zu Gast und unterstützt ihre Arbeit, weil es eine Christenpflicht sei, sich für Geflüchtete einzusetzen. Er erinnert an das Gleichnis des Barmherzigen Samariters: "Das sind Menschen, die geschlagen, gefoltert und auf ihren Booten überfallen und ausgeraubt worden sind. Da sind wir doch gerufen, zu helfen."

Auch wenn es keine leichte Aufgabe ist, immer wieder in See zu stechen, um geflüchtete Menschen zu retten, und dabei heftigen politischen Gegenwind zu erfahren – Jugend rettet will weitermachen: "Solange die Flüchtlinge in den internationalen Gewässern alleine gelassen werden, können wir nicht aufhören", sagt Pauline Schmidt. Was aus Ihrer Sicht fehlt, ist ein europäisches Seenotrettungsprogramm, durch das verhindert wird, dass Flüchtlinge auf dem Mittelmeer sterben müssen. Für Jugend rettet sind in ganz Deutschland junge BotschafterInnen aktiv, um für Unterstützung zu werben. Für sie ist klar: wir wollen nicht ohnmächtig sein, sondern etwas tun.

(Wiederholung vom 10.05.2017)


Mitglieder von Jugend Rettet e.V und vom Team der Sea-Watch / © Friedhold Ulonska/Jugend Rettet (dpa)
Mitglieder von Jugend Rettet e.V und vom Team der Sea-Watch / © Friedhold Ulonska/Jugend Rettet ( dpa )