Arbeiten in der digitalen Welt

Sozialpartnerschaft gerät ins Wanken

Höhere Produktivität und mehr Arbeitsplätze, flexiblere Fertigung, schnellerer und individueller Service: Die Vorteile der Digitalisierung liegen auf der Hand. Christliche Arbeitnehmervertreter warnen aber vor gesellschaftlicher Spaltung.

Computertastatur / © Oliver Berg (dpa)
Computertastatur / © Oliver Berg ( dpa )

Arbeiten in der digitalen Welt hat nicht nur Vorteile. Die immer differenzierte Fertigung und kleinteiligere Produktion benötigt besser ausgebildete Mitarbeiter. Einfache Tätigkeiten dagegen werden der Rationalisierung und dem Kollegen Computer geopfert. Gleichzeitig wächst die Zahl der Click-Worker, moderne Tagelöhner, die sich tagtäglich im Netz auf die Jagd nach schlecht bezahlten Jobs machen müssen. Die soziale Absicherung wird für Millionen Menschen in Zukunft immer schwieriger.

Die Versprechen milliardenschwer - der soziale Nutzen gleich null

"Industrie 4.0 ist die erste technologische Revolution, die von oben verordnet werden soll. Es ist ein Marketingbegriff, der auf eine durchgreifende Effektivierung aller Arbeitsabläufe, eine profitable Kapitalverwertung und einen verschärften Verdrängungswettbewerb abzielt," kritisiert Dr. Michael Schäfers, Vorstandsmitglied bei der Stiftung Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung ZASS im Interview mit domradio.de. Es werde mit exorbitanten Versprechen geworben; einer Steigerung der Produktivität um 30 Prozent, der Schaffung neuer und sicherer Arbeitsplätze, mehr nachhaltige Produktion durch weniger Ressourcenverbrauch und nicht zuletzt: Der Mensch solle zum Dirigenten der Wertschöpfungsprozesse werden.

Schäfers hält diese Versprechen für mehr als überzogen. "Sie dienen vor allem als Verkaufsargument", resümiert er: "Ziel ist vielmehr das hochflexible Multitalent, das bei geringer Bezahlung rund um die Uhr verfügbar ist." Junge Menschen unter 35 Jahren sind schon jetzt mehr als dreimal so oft befristet beschäftigt wie ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Tendenz steigend, warnt das Kolpingwerk Deutschlands. Auch von Leiharbeit seien junge Menschen mehr als dreimal so oft betroffen wie ältere. Derzeit arbeitet fast jeder zweite junge Beschäftigte unter 25 in einer atypischen Beschäftigungsform. Ein Drittel der unter 25-jährigen Beschäftigten hat ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 1.500 Euro.

Digitales Prekariat auf dem Vormarsch

"Die zunehmende Polarisierung der Löhne und Spaltungen in der Arbeitswelt gebiert eine ganz neue Arbeiterschaft: das völlig prekarisierte 'digitale Proletariat'", prognostiziert auch Oskar Obarowski, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Arbeitnehmerorganisationen ACA. Denn die Digitalisierung werde nicht mit den Menschen gestaltet, sondern über die Köpfe der Beschäftigten hinweg ausgebaut, sagte Obarowksi gegenüber domradio.de.

Sozialexperten erinnern an die Worte von Papst Franziskus, dass diese Wirtschaft töte. Für alle sozialverantwortlich denkenden Menschen solle dies Ansporn sein, an einem grundlegenden Umbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise mitzuarbeiten, so wie es auch die Soziallehre der Kirche einfordert.

Arbeitsmarktexperte Schäfers interpretiert in seinem Mitte Januar 2017 erscheinenden Buch "Wie Papst Franziskus Politik macht"  die Sozialenzyklika des Papstes daher nicht nur als ein soziales Rundschreiben, sondern vielmehr als ein politisches Manifest. Gerade "Laudato si" verdeutliche, wie der Papst Politik mache und gestalten wolle.  

Taugt Nahles´ neues  Weissbuch als Gebrauchsanweisung?

Sozialethiker begrüßen grundsätzlich die neue Initiative von Andrea Nahles. Die Bundesarbeitsministerin (SPD) hat ein sogenanntes Weißbuch vorgelegt, in dem politische Eckpunkte für eine sozialverträgliche Gestaltung von Digitalisierung der Wirtschaft präsentiert werden. Die entscheidende Frage darin ist, ob sich die negativen Auswirkungen der seit fast 20 Jahren anhaltenden Digitalisierung fortsetzen werden. "Dem Mehr an Flexibilität müssen in der Umsetzung neue Schutzrechte entgegengestellt werden", erklärt Nahles. 

Immer mehr Menschen arbeiten gerade in der digitalen Welt in befristeten Arbeitsverhältnissen oder als Solo-Selbständige ohne jede soziale Absicherung wie Kranken- oder Rentenversicherung. Experten fordern daher eine gezielte politischen Steuerung und Gesetzgebung für den "Digitalismus" der Wirtschaft. Die soziale Sicherheit der Zukunft müsse zudem auf neue Füße gestellt werden, unter anderem in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die Sozialpartnerschaft sei nämlich erheblich ins Wanken geraten, konstatiert Obarowski. "Längst ist klar, welche Veränderungen die Digitalisierung mit sich bringt, die Karten liegen offen auf dem Tisch – nur sitzt dort keiner."

Obarowski fordert die Cloudworker auf, sich zu solidarisieren: "Die Begriffe 'Crowdworking' und 'Clickworker' haben sich als Synonyme für die Digitalisierung und das sich wandelnde Verständnis von Arbeit etabliert. In Wahrheit sind sie aber nur die Spitze eines Berges von derzeit 2,3 Mio. Solo-Selbstständigen, der sich seit 1990 aufgebaut hat. Es sind Einzelkämpfer, die nur in Ausnahmefällen gewerkschaftlich organisiert sind und sich oft unzureichend gegen die Risiken des Lebens absichern. Es muss gelingen, diese Gruppe wieder in das Sozialversicherungssystem zu integrieren. Alles andere wäre unsolidarisch."


Dr. Michael Schäfers / © N.N. (privat)
Dr. Michael Schäfers / © N.N. ( privat )