Tausende Kerzen leuchten beim Taizé-Abendgebet in Berlin

Silvester in aller Stille

Es ist fast mucksmäuschenstill. Kein Krach. Keine ohrenbetäubende Silvesterknallerei. Wenige Stunden vor dem Jahreswechsel wirkt die Messehalle 2.2 in Berlin wie eine Parallelwelt. Hunderte Jugendliche hocken oder knien andächtig auf dem Boden, während zeitgleich am fast zehn Kilometer entfernten Brandenburger Tor Menschenmassen dem neuen Jahr entgegenfiebern. Beim fünftägigen Taizé-Treffen, zu dem mehr als 30.000 Jugendliche nach Berlin gekommen sind, ist Silvester anders.

 (DR)

Die Uhr von Teresa Karl zeigt, dass 2011 in fünf Stunden Geschichte sein wird. Die Kirchenglocken, die zuvor aus dem Lautsprecher schallten und die Jugendlichen in den Messehallen zu den Gebeten riefen, sind verstummt. Leises Murmeln einzelner junger Menschen füllt die Halle. Für die 17-Jährige aus der Nähe von Darmstadt ist es das letzte Gebet in großer Runde. Um 23.00 Uhr will sie noch einmal mit einer kleineren Gruppe in einer Kirche in Charlottenburg beten, bevor sie mit ihnen dann das neue Jahr begrüßt. Am Neujahrstag will sie wieder abreisen.



"Es ist eine schöne Erfahrung, den Jahreswechsel mit Freunden stiller als sonst zu verbringen. Party können wir immer noch machen", sagt Anna-Lena Werner und hält ihrem Vordermann eine Kerzen entgegen. Jeder Teilnehmer hat am Eingang eine erhalten. Kerze für Kerze wird nun entzündet. In der gesamten Messehalle leuchten sie. Das dämmrige Licht lässt sie wie ein riesiges Meer aus kleinen hellen Punkten wirken. "Wahnsinn", ringt die Sitznachbarin der 19-jährigen Anna-Lena um Worte. Das Licht soll an die Auferstehung Jesu Christi erinnern.



Nach wenigen Minuten wird es wieder dunkel. Ein Sicherheitsmechanismus sorgt dafür, dass die Flamme erlischt. Die Menge singt geistliche Lieder. Ein Chor begleitet sie. Viele kennen die Texte auswendig, andere schauen in Liedheftchen. Hin und wieder wird fotografiert.



Bruder Alois beklagt Ungleichheiten in der Gesellschaft

Um den 24 Jahre alten Italiener Simeone herum wirken viele in Gedanken versunken. Ein Ohr für aktuelle Probleme haben sie dennoch: Der Prior der in Frankreich beheimateten ökumenischen Gemeinschaft, Bruder Alois, spricht in seiner kurzen Grußbotschaft von Erschütterungen in der Weltwirtschaft, die allen zu denken geben sollte. "Die zunehmenden Ungleichheiten, selbst innerhalb reicher Gesellschaften, wie auch die unkontrollierte Ausbeutung der Rohstoffe sind Quellen der Konflikte von morgen." Reiche Gesellschaften müssten lernen, sich "mit weniger zu begnügen", unterstricht der Geistliche mit leiser Stimme.



Silvester mit den Taizé-Brüdern unterscheidet sich von den Feierlichkeiten am Brandenburger Tor. "Hier bekomme ich einen ganz anderen Blick auf die täglichen Nachrichten", erzählt Jesco Dechamps nach der Ansprache. Der 23-Jährige aus Hannover sitzt vor dem Bild einer Madonna, das an die Wand projiziert wird. Der deutsche Soldat Kurt Reuber hat sie Weihnachten 1942 während der Schlacht von Stalingrad gemalt. Hinter dem Taizé-Kreuz stehen Weihnachtsbäume. Das Bild gilt als Zeichen für die Versöhnung unter den Menschen.



Nach gut einer Stunde packt Teresa Karl ihre Kerze in die Tasche. "Als Erinnerung für zu Hause", sagt sie. Gleich, wenn die fast 30.000 jungen Christen gleichzeitig zum Bahnsteig strömen, geht es für sie mit der überfüllten S-Bahn zurück in ihre Pfarrgemeinde. Langsam kommt Silvesterstimmung auf: Es wird gesungen, getanzt und gelacht. Mancher von ihnen, wie Jesco Dechamps, will später doch noch zum Brandenburger Tor.