Taize-Prior Frere Alois über die Botschaft seines Vorgängers

"Hoffnung auf eine versöhnte Menschheit"

Vor fünf Jahren wurde der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, Frere Roger, im Alter von 90 Jahren durch ein Messerattentat getötet. Am Wochenende gedenkt die Gemeinschaft ihres Gründers und feiert zugleich den 70. Jahrestag des ersten Besuchs von Frere Roger in dem burgundischen Dorf. Im Interview über das Vermächtnis von Frere Roger: der Prior von Taize, Frere Alois.

Bruder Alois: Der Leiter der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé (KNA)
Bruder Alois: Der Leiter der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé / ( KNA )

KNA: Frere Alois, der tragische Tod von Frere Roger jährt sich am Montag, zum fünften Mal. Wie erinnern Sie Ihren Vorgänger?
Frere Alois: Unter den vielen Erinnerungen kommt mir besonders ein Bild in den Sinn, und so geht es sicher auch vielen anderen: Nach dem Abendgebet blieb Frere Roger in der Kirche, oft bis spät in die Nacht. Die Gesänge wurden weitergesungen, und er hörte allen zu, die zu ihm kamen. «Zuhören, nicht Ratschläge geben», pflegte er zu sagen. Zuhören, damit das Gegenüber selbst die Spur Gottes in seinem Leben entdecken kann. Für ihn war das sozusagen Teil des Gebetes, sich Gott zuzuwenden - und eben auch den Menschen. Er machte das mit derselben Leidenschaft während der Anfangszeit mit einer Handvoll Besuchern in der kleinen Dorfkirche wie unter den Tausenden, die in späteren Jahren die Kirche der Versöhnung füllten.

KNA: Wie begehen Sie als Gemeinschaft mit Tausenden Gästen diesen Jahrestag?
Frere Alois: Mit dem fünften Todestag ist es zugleich fast auf den Tag genau 70 Jahre her, dass Frere Roger sich in Taize niedergelassen hat. Wir versammeln uns am Samstag mit allen Anwesenden - wohl etwa 5.000 Leute - auf einer großen Wiese am Rande des Dorfes, beginnen dort mit dem Abendgebet und ziehen dann alle gemeinsam am Dorffriedhof mit Frere Rogers Grab vorbei zur Kirche der Versöhnung, in der wir das Gebet fortsetzen. Es wird ein Gebet in Gemeinschaft mit der ganzen weltweiten Kirche sein. Wir erhielten zu diesem Anlass Grußbotschaften von Papst Benedikt XVI., den Patriarchen von Konstantinopel und Moskau, vom anglikanischen Erzbischof von Canterbury, vom Lutherischen und vom Reformierten Weltbund, vom Weltkirchenrat und andere mehr. Papst Benedikt XVI. spricht von einem «Zeugnis für eine Ökumene der Heiligkeit».

KNA: Sie selbst sind 2008 in Rumänien der Mutter jener psychisch kranken Frau begegnet, die Frere Roger tödlich verletzt hat. Was bedeutet Ihnen diese Stunde?
Frere Alois: Es war mir ein tiefes Bedürfnis, die Mutter zu besuchen und mit ihr, einer sehr gläubigen Frau, zu beten. Sie lebt allein, hat keine weiteren Familienangehörigen mehr. Gemeinsam konnten wir ihre Tochter Luminica der Vergebung Gottes anvertrauen.

KNA: Was ist für Sie die bleibende Botschaft des Gründers von Taize?
Frere Alois: Selbst nach fünf Jahren ist es nicht leicht, das auf einen Nenner zu bringen. Seine große Leidenschaft lag wohl darin, das Vertrauen zu wagen, dass Gott mit jedem Menschen verbunden ist - auch mit denen, die ihn nicht kennen. Und dass Gott nur Liebe ist. Daraus wollte Frere Roger Konsequenzen ziehen, insbesondere die, dass Kirche ein Ort der Gemeinschaft, der «Communio» ist: ein Zeichen unserer Hoffnung auf eine versöhnte Menschheit. Deshalb lag ihm unbedingt daran, ohne Aufschub die Gemeinschaft, die alle getauften Christen verbindet, deutlich ans Licht zu bringen.

Eine Konsequenz war auch, dass Frere Roger unermüdlich den ärmsten Menschen nahe sein wollte, Flüchtlinge aufnahm, selbst Zeit in verschiedenen Elendsviertel verbracht hat. Und nicht zuletzt hat er nichts unversucht gelassen, um die Fragen der Jugendlichen heute zu verstehen. Vielleicht kann man es noch einfacher sagen: Am Ende seines Lebens wiederholte Frere Roger oft schlicht das Wort Vertrauen. Sein ganzes Leben und sein Tod haben gezeigt, dass es in seinem Mund kein leeres, leicht dahin gesagtes Wort war, sondern die lebensschaffende Kraft des Evangeliums zusammenfasste. Dieses Vertrauen lebte Frere Roger bis zum Schluss.

KNA: Nach seinem Tod ist die Besucherzahl in Taize eher gestiegen als eingebrochen. Wie erklären Sie sich das?
Frere Alois: Ja, wir sind dankbar und staunen selbst, wie viele Jugendliche weiterhin kommen und wie intensiv sie sich bei den Jugendtreffen beteiligen. Frere Roger hat uns Brüder oft davor gewarnt, geistliche Meister sein zu wollen. Frere Roger hat sich nicht selbst in den Mittelpunkt gestellt. Er wollte, dass wir durch unser Leben auf die Gegenwart Christi verweisen, wie Johannes der Täufer. Auf diesem Weg gehen wir Brüder weiter.