BWV 77, 13. So. n. Trinitatis

Bachkantate am 06. September

"Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" Das fragen die Schriftgelehrten im Evangelium Jesus von Nazareth. Seine Antwort: Er erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und fasst zusammen: "Du sollst deinen Herrn lieben und deinen Nächsten wie dich selbst." Und diese Antwort macht Bach zur Überschrift seiner heutigen Kantate: "Du sollt Gott, deinen Herrn, lieben."

 (DR)

Die Kantate hat Bach in seinem ersten Jahr in Leipzig geschrieben, Uraufführung war 1723. Und nicht nur die Überschrift, sondern der Text der ganzen Kantate lehnt sich eng an das Sonntagsevangelium an.

Der gewichtigste Satz der Komposition ist der Eingangschor, den Bach als Choralbearbeitung geformt hat und der wegen seiner tiefen Symbolik eine ganz besondere Stellung im Schaffen des Thomaskantors einnimmt. Bach erinnert sich nämlich an die Parallelstelle im Matthäus-Evangelium, in der Jesus nach dem wichtigsten Gesetz gefragt wird und dann ebenfalls - fast mit den Worten  des Eingangschores - das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe als gleichrangig nennt. Bach versucht daher die Bedeutung dieser beiden Gebote mit allen ihm musikalisch zur Verfügung stehenden Mitteln hervorzuheben und zu kommentieren.

So legt er dem Eingangssatz den damals sehr bekannten Choral "Dies sind die heilgen Zehn Gebote zu Grunde", um zu zeigen: Das ganze Gesetz ist im Liebesgebot enthalten. Die Melodie selbst erklingt in höchster Lage in der Trompete und in tiefster Lage im Bass. Dadurch wird der allumfassende Charakter des Liebesgebotes verdeutlicht.  Immer wieder wird die Melodie von der Trompete in diesem Satz wiederholt. Und zwar genau 10 mal. Ein Hinweis auf die zehn Gebote.  

Ein einfaches Rezitativ führt zur ersten Arie, die durch die Terzenbewegungen in den beiden Oboen einen sehr innigen Charakter erhält. Der Inhalt: Die Liebe zu Gott.

Das zweite Rezitativ wird von Streichern begleitet. Zunächst mit gehaltenen Akkorden, gegen Ende in lebhafter Bewegung. Diese Instrumentation unterstreicht den Gebetscharakter des Satzes und verleiht der Bitte um ein "Samariterherz" und um das ewige Leben auch musikalisch besonderen Nachdruck.

Die zweite Arie der Kantate, der fünfte Satz, ist eigenartigerweise mit einer Trompete instrumentiert, die zu der Klage des Textes über die eigene Unzulänglichkeit nicht so recht passen will. Vielleicht gab es aber dafür damals einen besonderen Grund, der sich uns heute nicht mehr erschließt.

Wie so oft, so lässt Bach auch diese Kantate mit einem einfachen Chorsatz enden. Der Entschluss, das Liebesgebot zu erfüllen, und die Bitte um Gottes Segen für dieses Vorhaben, werden in diesem Choral noch einmal abschließend bekräftigt.

BWV 77 "Du sollst Gott, deinen Herren, lieben".
Knabenchor Hannover, Collegium Vocale Gent, Leonhardt-Consort,
Leitung: Gustav Leonhardt.  

Quelle: Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. Bärenreiter 1995.