BWV 140: "Wachet auf, ruft uns die Stimme"

Bachkantate am 6. Dezember 2009

Streng genommen, dürfte heute eigentlich gar keine Kantate von Johann Sebastian Bach zu hören sein. Denn: In den Wochen mit Bußzeitcharakter, also am 2., 3. und 4. Adventssonntag und in der Fastenzeit, schwieg zu damaligen Zeiten die hohe Musik.

 (DR)

Da Bach aber zahlreiche Kantaten geschrieben hat, die stark adventlichen Charakter haben, müssen wir auch am heutigen 2. Adventssonntag nicht auf eine Bachkantate verzichten.

Eine Kantate, die sehr in diese Zeit passt, ist das Werk "Wachet auf, ruft uns die Stimme", BWV 140. Der Thomaskantor hat Sie ursprünglich für den 27. Sonntag nach Trinitatis geschrieben. Diesen Sonntag gibt es aber nur, wenn Ostern auf einen der Tage vor dem 27. März fällt, was äußerst selten ist. Bach erlebt diesen Sonntag in seiner Leipziger Amtszeit nur zwei mal: Im Jahre 1731 und 1742.

Und so war die Uraufführung der heutigen Choralkantate am 25. November 1731. Choralkantate deswegen, weil auch dieser Komposition, das Kirchenlied von Philipp Nicolai zugrunde liegt. Ein Lied, das nach wie vor zu den beliebtesten Adventsliedern zählt und bis heute auch im katholischen gebet- und Gesangbuch Gotteslob zu finden ist.

Der Text der Kantate führt, ausgehend vom Sonntagsevangelium, den Gedanken des zu seiner Braut kommenden Bräutigams weiter aus: Jesus ist der Bräutigam, die Seele des gläubigen Christen seine Braut. Eine sehr bildhafte Sprache, die hier verwendet wird, Liebeslyrik vom Feinsten sozusagen, und das ist auch kein Zufall, immerhin enstammen nicht wenige Textstellen dem Hohenlied Salomos. Beispiel: Im zweiten Satz.

Der zweite Satz verkündet also das Nahen des Bräutigams und leitet damit zum Duett zwischen Jesus und der Seele im dritten Satz hin. Dieser Zwiegesang erweckt in seinem sehnsuchtsvoll - sinnlichen Charakter mystische Eindrücke: Himmlische und irdische Liebe sind hier in eins verschmolzen. Musikalisch gehört dieser Satz ohne Zweifel zu den schönsten Liebesduetten der Weltliteratur.

Der vierte Satz ist von seiner Melodik her wohl der bekannteste Satz. Denn Bach hat ihn später als Bearbeitung für Orgel zu seinen sogenannten Schüblerschen Chorälen hinzugefügt.

Der Bräutigam nimmt seine Braut, die Seele, zu sich. Der Inhalt des fünften Satzes. Der sechste Satz, das dem Rezitativ folgende Duett, bringt nun die Freude des vereinten Paares zum Ausdruck. Unüberhörbar, fast tänzerisch heiter.  

Mit der Vertonung der dritten Strophe des Liedes von Philipp Nicolai zu einem vierstimmigen Tonsatz lässt Bach seine Kantate enden.

Kantate "Wachet auf, ruft uns die Stimme", BWV 140.
Tölzer Knabenchor und Concentus musicus Wien, Leitung: Nikolaus Harnoncourt.

Quelle: Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. Bärenreiter 1995.