BWV 127 - Am Sonntag Estomihi

Bachkantate am 22. Februar 2009

"Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott": Das ist die Überschrift der Kantate, für den heutigen Sonntag "Estomihi". Johann Sebastian Bach hat sie zum ersten Mal am 11. Februar 1725 aufgeführt. Und bei dieser Kantate handelt es sich um eine sogenannte Choralkantate. Das heißt: Die Grundlage der Kantate bildet ein Kirchenlied. Und das ist bei zahlreichen Kantaten der Fall, die Bach in seinem zweiten Jahr in Leipzig geschrieben hat. Dadurch, dass er seinen Kantaten die Texte und Melodien ausgewählter Kirchenlieder zugrunde legte, verfolgte er ein eigenes künstlerisches Konzept. Die erste und die letzte Strophe behält Bach dabei meist unverändert bei, die mittleren Strophen werden so umgedichtet, dass sich daraus Rezitative und Arien ergeben. So auch bei der Kantate des heutigen Sonntags.

 (DR)

Das Kirchenlied "Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott", das Paul Ebner 1562 geschrieben hat, ist von der Thematik her ein Sterbelied und damit für den heutigen Fastensonntag Estomihi nicht ganz ungeeignet. So schließt sich die Eingangsstrophe mit ihrem Hinweis auf Jesu Passion und Kreuzestod an die Leidenverkündigung des Evangeliums an. Die Schlusszeile der Eingangsstrophe "Du wollst mir Sünder gnädig sein" erinnert an den Ruf des Blinden um Erbarmen und Heilung. Dieses Evangelium von der Heilung des Blinden war zu Bachs Zeiten am heutigen Sonntag im Gottesdienst zu hören. Die Instrumentierung des Satzes mit Blockflöten sowie der gleichbleibende punktierte Rhythmus machen das flehentliche Bitten des Sünders hörbar.  

Ein schlichtes Rezitativ leitet nach dem Eingangschoral zur ersten Arie über, die einzigartig in der Verwendung der Instrumente ist. Eine Solo-Oboe konzertiert vor dem Hintergrund kurzer Flötenakkorde. Auf das Stichwort "Sterbeglocken" im Mittelteil des Satzes setzen dann die gezupften Streichinstrumente mit einer Glockenimitation ein.

Der folgende vierte Satz entwirft ein drastisches Bild des Weltgerichts. Zum Streicherchor tritt die Trompete, als charakteristisches Instrument zur Kennzeichnung des Jüngsten Tages. Ein einfacher vierstimmiger Choralsatz beendet die Kantate. Doch selbst diesen Satz gestaltet Bach sehr ausdrucksstark. So zum Beispiel wenn die Zeile "auch unser Glauben stets wacker sei" durch besondere Beweglichkeit der Begleitstimmen ausgeschmückt ist oder wenn die Worte "bis wir einschlafen" durch kunstvolle Harmonisierung hervorgehoben werden.

Die Hauptaussage der Kantate findet sich im zweiten Satz. Da heißt es: "Der Glaube weiß, dass Jesus bei mir steht, der mit Geduld zu seinem Leiden geht und diesen schweren Weg auch mich geleitet". Mit anderen Worten also: Mit Jesu Gang nach Jerusalem beginnt sich sein Heilswerk zu erfüllen und damit auch die eigene Hoffnung ein seliges Ende.

"Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott", BWV 127.
Knabenchor Hannover, Collegium Vocale Gent, Leonhardt-Consort:
Leitung: Gustav Leonhardt.
Quelle: Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. Bärenreiter 1995.