20. So. n. Trinitatis

BWV 49

Die Kantate, die Johann Sebastian Bach für den heutigen Sonntag komponiert hat, ist von Bach selbst als "Dialogus" bezeichnet worden und erweist sich damit in der Tradition der geistlichen Dialogkompositionen des 17. Jahrhunderts. Die beiden Dialogpartner sind Jesus und die gläubige Seele. Oder anders gesagt: Der einzelne Christ selbst tritt in einen Dialog mit Jesus.

 (DR)

Inhaltlich lehnt sich die Kantate "Ich geh und suche mit Verlangen" wieder mal an das Evangelium des Sonntags an, dem Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl. Der König lädt ein zum Hochzeitsmahl, doch die Eingeladenen haben keine Zeit oder keine Lust und bleiben der Hochzeit fern. Und so beschließt der König, stattdessen die Bettler von der Straße einzuladen und mit diesen ein rauschendes Fest zu feiern.



Wie gesagt: Die Kantate lehnt sich an dieses Evangelium an, erzählt es aber nicht detailgetreu nach, sondern fasst zusammen und verändert auch die eine oder andere Stelle. So wird die zweimalige Einladung des Königs zu einer zusammengefasst, die Absage der zuerst geladenen Gäste bleibt unerwähnt, die Unwürdigkeit derer, die als Ersatz geladen sind, wird nur angedeutet. Auch die im Gleichnis angehängte Erzählung von dem Gast, der in die Finsternis geworfen wird, weil er kein hochzeitliches Kleid trägt, erscheint dann nur ins Positive gewendet, wenn die von Jesus als Braut erwählte Seele von sich sagen darf: "Ich bin herrlich, ich bin schön, seines Heils Gerechtigkeit ist mein Schmuck und Ehrenkleid".



Viele biblische Bilder durchziehen den Text der Kantate. So zum Beispiel das Bild von der Taube, mit der die Braut verglichen wird, oder vom Bund, den der Herr mit Israel geschlossen hat, von dem vor der Tür stehenden und klopfenden Herrn, oder in der Schlussarie der Bezug auf das Wort des Propheten Jeremia: "Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte".



Bach hat die Kantate 1726 komponiert und erstmals am 3. November desselben Jahres aufgeführt.  Nach einer einleitenden Sinfonie erklingt die Eingangsarie "Ich geh und suche mit Verlangen". Die weiten Intervallsprünge in dieser Arie, die sich bald nach oben, bald nach unten wenden, machen das eifrige Suchen des Bräutigams deutlich. Das nun folgende Dialogrezitativ hat ausgesprochen dramatischen Charakter. Auf die Worte "Komm, Schönste, komm und lass dich küssen" beginnt ein regelrechtes Liebesduett in tänzerischem Dreiertakt:



Auch die folgende Sopran-Arie ist durch die besondere Instrumentierung mit einer Oboe d´Amore und Violoncello piccolo ein Meisterstück Bachscher Charakterisierungskunst.  Kernaussage dieser Arie und des folgenden Rezitativs: Im Glauben an Christus ist das abgefallene Menschengeschlecht zum himmlischen Erlösungsmahl eingeladen.









Das abschließende Duett gehört zu den kunstreichsten Kantatensätzen, die wir von Bach kennen. Formal galt es, den Abschlusschor, die 7. Strophe des Liedes "Wie schön leuchtet der Morgenstern", so in den Satz einzubauen, dass trotz Fehlen des Chores der Eindruck eines Abschlusses aufkommt. Gleichzeitig war ein Gegenstück zu der konzertanten Virtuosität der Eingangssätze zu schaffen, das eine ausgewogene Großform entstehen ließ. Bach hat beide Aufgaben genial gelöst.



Die Kantate des heutigen Sonntags gehört zu den Werken, deren Inhalt sich auf den ersten Blick nicht sofort erschließt. Erst derjenige, der ganz genau hinhört wird erkennen, dass nicht nur die hochzeitliche Freude aus der Musik spricht, sondern auch die Schrecken des Todes. Denn Vereinigung mit dem Bräutigam Jesu bedeutet ja für die menschliche Seele auch das Ende des irdischen Lebens. Bach führt beides auf einzigartige Weise zusammen.



Kantate BWV 49: "Ich geh und suche mit Verlangen".

Peter Jelosits, Sopran und  Ruud van der Meer, Bass,

Concentus musicus Wien, Leitung: Nikolaus Harnonocurt.



Quelle/ Literatur: Alfred Dürr: Die Kantaten Johann Sebastian Bachs. Bärenreiter, 1995