19. Sonntag nach Trinitatis - BWV 56

Bachkantate am 10.10.2010

Besonders auffällig an der Kantate für den heutigen 19. Sonntag nach Trinitatis ist der außerordentlich gelungene und schöne Text, der eng an das Sonntagsevangelium anknüpft. Überschrift: „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“. Zur Zeit Johann Sebastian Bachs war in den Kirchen am heutigen Sonntag von der Heilung des Gichtbrüchigen zu hören. Und auch wenn diese Heilung in der Kantate nicht ausdrücklich erwähnt wird, so steht seine Gestalt doch stellvertretend für den Jünger Christi, der seinen „Kreuzstab“ auf sich nimmt und unter „Plagen“ seinen Weg geht, bis sich die Prophezeihung aus der Geheimen Offenbarung des Johannes erfüllt: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“. Und mit diesem Zitat beginnt auch die Kantate.

 (DR)

Der Grund für diese Hoffnung und Zuversicht ist die Heilung des Gichtbrüchigen: Denn auch diesem hat Jesus ja alle Sünden vergeben, wie das Evangelium heute berichtet. Musikalisch lässt Bach den Kreuzstab durch einen übermäßigen Sekundschritt hörbar werden, das "Tragen des Kreuzstabes" wird durch stufenweise fallende Seufzerfiguren abgebildet.



Im 2. Satz folgt nun ein anderes Bild, das aber auch dem Evangelium entnommen ist, denn da wird von Jesus berichtet: "Da trat er in das Schiff und fuhr wieder herüber und kam in seine Stadt." Der Dichter der Kantate fasst nun das ganze Leben des Menschen als eine Schifffahrt auf. Das Ziel ist die Heimatstadt, das Himmelreich.

Die Violoncello-Begleitfiguren malen in diesem Satz die Wellen des Meeres. Die Bewegung kommt zur Ruhe, sobald der Satz bei den Worten "so tret ich aus dem Schiff" angelangt ist.



Satz 3 ist erfüllt von der Freude auf die erhoffte Gemeinschaft mit dem Heiland. Der Text lehnt sich an das bekannte Wort des Propheten Jesaja an, bei dem es heißt: Die auf den Herrn harren, bekommen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden". Zugleich erwacht die Todessehnsucht: "O gescheh es heut noch".  



Diese Todessehnsucht erfüllt jetzt den 4 Satz. Dieser beginnt als Rezitativ mit Streicherbegleitung, mündet jedoch nach wenigen Takten in die nur wenig veränderte zweite Hälfte des 1. Satzes. Der Schlusschoral, die 6. Strophe des Liedes "Du, o schönes Weltgebäude" von Johann Franck, ist trotz seiner üblichen vierstimmigen Schlichtheit ein besonderes Meisterwerk. Der Wunsch, durch den Tod mit Jesus vereint zu sein, wird mit dem Bild des "sichern Port", des "sicheren Hafens" verbunden, von dem im 2. Satz die Rede war.



Bach hat die Kantate zum 27. Oktober 1726 komponiert und zwar, wie der Titel der Partitur sagt, als "Cantata à voce sola e stromentie", also als Kantate für eine Gesangsstimme und Instrumente. So ist das Werk eines der wenigen aus Bachs Feder, das schon im Original die Bezeichnung "Cantata" trägt.



BWV: 56 "Ich will den Kreuzstab gerne tragen".

Michael Schopper, Bass, Knabenchor Hannover, Leonhard Consort.

Leitung: Gustav Leonhardt.



Quelle/ Literatur: Alfred Dürr: Die Kantaten Johann Sebastian Bachs. Bärenreiter, 1995