Wohlfahrtsverbände fordern Anhebung der Regelsätze - Verfassungsgericht verhandelt

Mehr Geld für arme Familien?

Reichen 215 Euro im Monat, um ein Kind zu ernähren, es einzukleiden und in Würde großzuziehen? Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Dienstag mit den mündlichen Verhandlungen darüber begonnen, ob die "Hartz-IV"-Regelsätze für Kinder verfassungsgemäß sind. Sozialverbände fordern eine deutliche Erhöhung.

 (DR)

Die Karlsruher Richter befassen sich damit erstmals mit der Frage, wieviel Euro ein Kind in Deutschland im Monat mindestens zum Leben braucht. Auf dem Prüfstand steht darüber hinaus, ob dieser Bedarf bislang realitätsnah ermittelt wurde. Verhandelt wird auch über die Höhe der Regelsätze für Erwachsene.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier sagte zu Beginn der Verhandlung, der Maßstab für das Verfassungsgericht sei «ein menschenwürdiges Dasein». Der Erste Senat befasst sich mit einer Vorlage des Hessischen Landessozialgerichts und zwei Vorlagen des Bundessozialgerichts. Sie halten die gesetzlichen Vorschriften für verfassungswidrig und fordern, den Bedarf der rund 1,7 Millionen von Hartz-IV lebenden Kinder genauer zu berechnen. Mit einem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.

Regierung verteidigt Leistungen
Ausgangspunkt der Verhandlungen waren Klagen von drei «Hartz IV»-Familien aus Dortmund, dem Landkreis Lindau am Bodensee und aus Hessen. Derzeit erhalten Kinder bis sechs Jahre 215 Euro, danach 251 Euro und ab dem 14. Geburtstag 287 Euro im Monat. Das sind 60 beziehungsweise 70 Prozent des Erwachsenen-Regelsatzes für das Arbeitslosengeld II von 359 Euro im Monat.

Die Bundesregierung verteidigte die Ableitung der Leistungen für Kinder als «plausibel und sachgerecht». Die Höhe der Zahlungen für Kinder und Erwachsene sei ausreichend und auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Methoden festgesetzt worden, sagte Sozial-Staatssekretär Detlef Scheele vor Gericht. Das System sei darüber hinaus auch offen für Weiterentwicklungen. Scheele verwies zudem darauf, dass auch die Länder und Kommunen dazu beitragen müssten, das Existenzminimum zu gewährleisten.

Verbände fordern Aufstockung
Dagegen kritisierten Sozialverbände und SPD-Politiker die geltenden Regelungen erneut als verfassungswidrig. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte eigene Berechnungsgrundlagen für Kinder. «Es kann durchaus sein, dass Kinder sehr viel näher am Bedarf von Erwachsenen liegen, gerade die kleineren Kinder, als das die jetzigen Sätze abbilden», sagte er dem Nachrichtensender N24. Ähnlich äußerten sich auch die arbeits- und sozialpolitische Sprecherin Andrea Nahles und die familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Caren Marks.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, sagte im ZDF-«Morgenmagazin», die betroffenen Kinder litten unter Ausgrenzung. Weder Klavierunterricht noch eine Mitgliedschaft im Sportverein seien ihnen möglich. Die Bezüge müssten um 25 bis 33 Prozent angehoben werden. Nach Einschätzung des Hauptgeschäftsführers könnten sich die aus einer Neuregelung entstehenden Kosten «im Milliardenbereich abspielen».
Eigener Bedarf von Kindern und Jugendlichen
Auch die Nationale Armutskonferenz kritisierte, die derzeitige Pauschalregelung sei auf Erwachsene fixiert und lasse außer Acht, dass Kinder und Jugendliche einen ganz eigenen Bedarf an Schul-, Freizeit- und Bekleidungskosten hätten. Die Hartz-IV-Reform habe die Kinderarmut in Deutschland verdoppelt, sagte der Sprecher der Organisation, Wolfgang Gern, dem SWR.

Der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie erklärte, die geltenden Kinderregelsätze verkennten die tatsächlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik forderte außerdem mehr Sachleistungen und eine verbesserte soziale Infrastruktur: «Kinderbetreuung, kostenlose Mahlzeiten in Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie die kostenfreie Überlassung von Schulbüchern und anderen Lehrmaterialien verbessern die Bildungschancen von Kindern besonders aus einkommensarmen Familien deutlich.»