Marokko wegen Instrumentalisierung von Migranten in der Kritik

Streit mit Spanien spitzt sich zu

Spaniens Bischöfe werfen Marokko vor, Armutsflüchtlinge für seine politischen Interessen zu instrumentalisieren. Die diplomatische Krise zwischen beiden Ländern wird durch Erpressungsversuche kaum zu lösen sein.

Autor/in:
Manuel Meyer
Spanien, Ceuta: Migranten kommen in der spanischen Enklave Ceuta an / © Bernat Armangue (dpa)
Spanien, Ceuta: Migranten kommen in der spanischen Enklave Ceuta an / © Bernat Armangue ( dpa )

"Die Verzweiflung und Verarmung vieler Familien und Minderjähriger darf von keinem Staat ausgenutzt werden, um das legitime Streben dieser Menschen für politische Zwecke zu missbrauchen", sagt der Madrider Weihbischof Jose Cobo.

Der Verantwortliche der Spanischen Bischofskonferenz für Migrationspolitik meint die chaotischen und tragischen Szenen, die sich zu Wochenbeginn in der spanischen Exklave Ceuta an der nordafrikanischen Mittelmeerküste abspielten. Sein Vorwurf richtet sich an Marokko, das die Menschen ungehindert passieren ließ.

Fast 8.000 Flüchtlinge erreichten ihr Ziel. Viele schwammen; andere kamen mit kleinen Schlauchbooten und Schwimmringen. Fast einen Kilometer mussten sie von der marokkanischen Seite um die ins Meer reichenden Grenzzäune herumschwimmen. Die Menschen waren erschöpft, unterkühlt, aber voller Hoffnung auf ein neues Leben in Europa. Ein Migrant ertrank.

Vor allem junge Männer, aber auch 2.000 unbegleitete Minderjährige und ganze Familien mit Babys schwammen an die Strände des spanischen Territoriums, nachdem Marokko die Kontrolle der Grenze ausgesetzt hatte. Das Land gab am Dienstag indirekt zu, dass es den Ansturm auf Ceuta geradezu provozierte.

Streit zwischen Madrid und Rabat über die Westsahara

Auslöser ist der Streit zwischen Madrid und Rabat über die Westsahara, bis 1975 spanische Kolonie. Entgegen einer UN-Resolution beansprucht und kontrolliert Marokko das dünn besiedelte, aber rohstoffreiche Gebiet im Süden. Marokko ist verärgert, weil der Chef der dortigen Unabhängigkeitsbewegung Polisario, Brahim Ghali, in einem spanischen Krankenhaus behandelt wird.

Die Polisario-Milizen liefern sich in der Westsahara immer wieder Kämpfe mit der marokkanischen Armee. Madrid gewährte die Einreise aus humanitären Gründen; die marokkanische Regierung sah dies als Affront.

Menschenrechtsminister El Mostafa Ramid kritisierte, Spanien habe einem bewaffneten Feind Marokkos Zuflucht geboten. Madrid müsse wissen, dass der Preis dafür hoch sei.

Spanien habe "mit den Konsequenzen seiner Taten" zu leben, stellte auch Karima Benyaich, Marokkos Botschafterin in Spanien, klar. Sie wurde ins Madrider Außenministerium einbestellt, wo ihr Spaniens Verärgerung" über die Aussetzung der Grenzkontrollen übermittelt wurde.

Bereits im November war es wegen der Westsahara zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Madrid und Rabat gekommen, als Spaniens zurückgetretener linker Regierungschef Pablo Iglesias dem Volk der Westsahara ein Selbstbestimmungsrecht zusprach. Als der bereits abgewählte US-Präsident Donald Trump im Dezember entgegen der UN-Resolution Marokkos Souveränität über die Westsahara anerkannte, nahmen auch die Spannungen zu anderen EU-Staaten wie Deutschland zu, die Trumps Entscheidung kritisierten. So rief Marokko Anfang Mai auch seine Botschafterin aus Berlin zurück.

"Bei diplomatischen Krisen setzt Marokko immer wieder den Migrationsdruck auf Spaniens Grenzen als Druckmittel ein", erklärt der Politologe Jose Angel Lopez von der Madrider Comillas-Universität im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Caritas kritisiert die Abschiebungen

Allerdings verschärft das Vorgehen die diplomatische Krise mit Spanien erheblich. Bevor dessen Ministerpräsident Pedro Sanchez am Dienstagabend im Hubschrauber Richtung Ceuta aufbrach, stellte er mit ernstem Ton klar, Spanien werde "die territorialen Grenzen von Ceuta und Melilla, die auch die Grenzen der EU sind, unter allen Umständen und mit allen erforderlichen Mitteln verteidigen".

Unterstützung erhielt Sanchez aus Brüssel. Die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erinnerte Marokko daran, dass Spaniens Grenzen auch europäische seien und das Land die vertraglich ausgemachte Grenzsicherung garantiere müsse. Am Mittwoch sicherte Marokko erneut die Grenzzäune, während Spanien bereits 4.000 illegal eingereiste Afrikaner sofort wieder nach Marokko abschob. Nur Eltern mit Kindern und unbegleitete Minderjährige dürfen zunächst bleiben.

Die katholische Caritas kritisierte die Abschiebungen über die Sozialen Netzwerke. Die Menschen hätten ein Recht, Asyl zu beantragen. Bei den meisten Migranten, die Ceuta erreichten, handelt es sich um marokkanische Armutsflüchtlinge. Das Land lebt besonders vom internationalen Tourismus, der im Zuge der Corona-Pandemie vollkommen zum Erliegen kam. Vor allem die Dörfer und Städte rund um Ceuta verzeichnen laut Berichten spanischer Medien teilweise eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 80 Prozent. Deshalb machten sich gerade Jugendliche auf ihrer Suche nach einer Zukunft in die spanische Exklave auf - und damit nach Europa.


Quelle:
KNA