Nachrichtenarchiv 08.05.2012 08:55

Die versteckten Winkel der Lust und Gewalt - "Don Giovanni" im Theater Hagen

Heiter oder ernst? "Don Giovanni" von Mozart ist einfach zu genial, um die Frage der Gattung je beantworten zu können. Zaghaft, zögerlich und zugleich wunderschön sind die heiteren Momente eingefügt, aus dem Moll-Grundton lösen sie sich in der Musik und im Spiel immer wieder heraus, um dann aber wie Seifenblasen zu zerplatzen. Denn schließlich zerplatzt hier in dieser Oper ja auch ein ganzes Leben. Und davon wiederum abhängig platzen permanent die Träume junger Frauen, junger Paare von der unbeschwerten, heiteren, romantischen Liebe.

 (DR)

"Don Giovanni" erzählt vom letzten Tag eines Lebemannes, des Don Juan in der Version von Mozart und da Ponte. Hunderte, tausende Frauen hat er gehabt, hat er verführt, an diesem Tag aber wird er keine mehr erobern. Im Gegenteil, weil die standhafte Donna Anna sich heftig wehrt wie eine Furie, eilt der Vater, der Komtur, herbei und Don Giovanni bringt ihn um.

Alle Figuren hängen vom verachtenden Treiben des Don Giovanni ab. Voller Tragik vor allem Donna Elvira, eine Geliebte vergangener Tage, die Don Giovanni sitzen ließ wie alle, die sich aber an seine Spuren heftet, hin und hergerissen zwischen verzweifelter Rachegedanken, und der genauso verzweifelten Sehnsucht, dass er zu ihr zurückkehrt.



Sie hilft Donna Anna, den Mörder ihres Vaters zu finden, und warnt ein Bauernmädchen, das gerade seine Hochzeit feiern will vor Don Giovanni. Und Donna Elvira wird erneut von ihm vorgeführt. Sie muss sich von seinem Diener anhören, dass Giovanni  für die ganz Jungen schwärmt, an ihr kein Interesse mehr hat. Gerade in diesen Elvira-Szenen liegen all der Spott und all die Tragik, wovon diese Mozartoper erzählt.



Dem Frauenhelden Don Giovanni misslingt kurz vor seinem Ende alles trotz aller Tricks und Verkleidungen. Umso besessener ist er davon, die Frauen zu verführen. Dass er ihnen die Würde nimmt, sie tief verletzt zurück lässt, dass er unmoralisch handelt - all das gleitet bis zuletzt von ihm ab. Gerade deshalb droht ihm das Ende. Und dies durch seinen einzigen Wiederpart, den toten Komtur. Diese Macht aus dem Jenseits flößt Don Giovanni endlich Angst ein, lähmt ihn - er stirbt. Der Hagener "Don Giovanni" kommt durchaus düster daher, aber nicht moralisch überladen. Auch die Musik in einer historisierenden Instrumentierung klingt in den Moll-Tönen eher sanft und lässt damit vor allem den Stimmen viel Raum. Und genau diese sind durchweg ein Genuss!



Das komplette Ensemble bietet eine große Leistung, vom tiefen Ernst der Jaclyn Bermudez in der Rolle der Anna bis zur starken Präsenz des augenzwinkernden Rainer Zaun in der Rolle des Dieners Leporello. Bühne und Kostüme sind zeitlos, zwei hohe Mauern mit Nischen und Türen, die immer wieder verschoben werden, bilden die Bühne, sie stellen sich dem Lauf der Dinge, den Wünschen und Begierden, und auch den Rachegelüsten entgegen, geben gerade mal die Fluchtwege frei. Es tun sich keine lodernden Abgründe der Hölle auf, aber die versteckten Winkel der Lust und Gewalt. Die geraden Wege des Guten und des Bösen jedenfalls gibt es nicht. All dies lässt Raum für eigenen Deutungen, aber Mozarts Botschaft ist klar: hier geht einer an seiner eigenen Maßlosigkeit zugrunde.