"Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen

Gewissensfragen einer Kleinstadt

Die Verschmutzung des Heilswassers einer kleinen Kurstadt bringt die Bürger in Gewissenskonflikte, die Inszenierung von Roger Vontobel am Schauspiel Köln die Zuschauer mitten ins Geschehen.

Schauspiel Köln / © Schauspiel Köln
Schauspiel Köln / © Schauspiel Köln

Der Duft von gegrillten Würstchen steigt dem Publikum in die Nase, wenn es den Theaterraum des Depot 1 betritt. Dem einen oder anderen wird auch noch ein Glas Kölsch von entspannten Schauspielern in die Hand gedrückt. Party ist angesagt - zwischen zwei gegenüberliegenden Publikumstribünen.

Doch wenig später nimmt das Drama seinen Lauf. Das kumpelhafte Miteinander zwischen dem agilen Kurarzt Dr. Thomas Stockmann (Paul Herwig), seinem Bruder, dem behäbig-selbstgefälligen Bürgermeister Peter Stockmann (Bruno Cathomas) und dem smarten Chefredakteur der Zeitung Hovstad (Robert Dölle) endet jäh, als der engagierte Kurarzt eine katastrophale Entdeckung macht: die heilenden Wasser sind durch die Abwasser einer Gerbereianlage vergiftet und machen krank. Erst stehen alle hinter dem Kurarzt und seinem Apell, die Bürger zu warnen und neue Leitungen zu legen. Chefredakteur Hovstad sieht seine große Chance, die korrupte Stadtgesellschaft an den Pranger zu stellen.

Aufgerieben im Interessenkonflikt

Aber die Stimmung kippt unmittelbar, als der Bürgermeister und Bruder des Kurarztes offenlegt, wer die Rechnung zu bezahlen hat - die Bürger. Aus dem Freund der Gesellschaft und selbstlosen Wahrheitsfinder Thomas Stockmann wird der Volksfeind. Aus Freunden werden Gegner. Es entwickelt sich ein atemberaubendes Tribunal, in dessen Verlauf es immer schwieriger wird zu sagen, wer ist gut, wer ist böse. Ist der Chefredakteur Hovstad wirklich ein Wendehals, wenn er seine Zeitung retten will? Hat Bürgermeister Stockmann nicht doch irgendwie Recht, dass um der Wahrheit willen nicht das Wohl einer ganzen Stadt aufs Spiel gesetzt werden soll? Und wieviel Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit steckt in dem Kurarzt Stockmann, der sich in eine zynische Hasspredigt ans Volk versteigt und die Wahrheit wie das Recht nur bei sich selber sieht? Am Ende steht Thomas Stockmann allein da. Aus dem um Wahrheit bemühten bürgerlichen Idealisten wurde ein Fanatiker, der nur noch um sich schlägt. Selbst seine Familie verlässt ihn in diesem Moment.

Eine sehenswerte Inszenierung

Die Inszenierung von „Ein Volksfeind“ von Roger Vontobel hat viele Facetten. Sie spiegelt unsere ängstliche Biedermeier-Gesellschaft, die es gut meint, aber keine Chance hat, solange das Geld regiert. Katharina Schmalenberg spielt berührend die Frau des Kurarztes, die als treusorgende Ehefrau und Mutter mit gehorsamen Kindern nie ihre Würde verliert und sogar den Mut zum Protest hat, bis sie die Fanatisierung ihres Mannes nicht mehr aushält. Vontobel setzt auch auf schräge, schwer einordbare Figuren wie den Gerbereibesitzer (Morton Kiil), der als Ex-Rocker auf dem Motorrad ins Spiel kommt. Dem intensiven Spiel aller Schauspieler ist es zu verdanken, dass das Stück nie auseinandergebrochen ist. Anspielungen auf die politischen Sünden der Stadt Köln wurden vom Publikum dankbar aufgenommen. Ein Theaterstück, das berührt, unterhält und bewusst macht, dass die Untiefen kommunaler Politik im Konflikt zwischen Wirtschaftsinteressen und Moral zeitlos ist und jeden einzelnen als mündigen Bürger herausfordert.