Bundesinnenminister plädiert für Debatte über Integrationsziele

"Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt"

Die Flüchtlingsfrage bleibt ein Politikum. Auf dem Zukunftskongress Integration und Migration machte sich Bundesinnenminister Thomas de Maiziere für eine Wertedebatte stark und betonte die Rolle von Religionen.

Autor/in:
Anna Mertens
Bundesinnenminister Thomas de Maizière / © Wolfgang Kumm (dpa)
Bundesinnenminister Thomas de Maizière / © Wolfgang Kumm ( dpa )

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sprach von einem "Denkfehler der Vergangenheit": Anders als viele in Deutschland annähmen, habe die Bedeutung von Religion und Glaube in der Welt nicht abgenommen - im Gegenteil, erklärte der Minister am Dienstag beim zweiten Zukunftskongress Migration und Integration in Berlin.

Vor den rund 500 Teilnehmern - vorrangig Praktiker aus der Verwaltung oder von Initiativen - brach der Minister eine Lanze für ein Verständnis für das eigene und fremde Glaubensbekenntnis. "Können wir genau erklären, was der Sinn von kirchlichen Feiertagen ist und warum wir in Deutschland davon so viele haben?", "Kennen wir den Unterschied zwischen Katholizismus und Protestantismus?", fragte der Minister in die Runde. Auch über den Unterschied zwischen den muslimischen Glaubensgruppen, Schiiten und Sunniten, gebe es viel zu lernen.

Bedeutung von Religion unterschätzt

Keiner müsse in Deutschland religiös werden oder in die Kirche gehen, wenn er das nicht wolle, betonte de Maiziere. Kenntnisse über den christlichen Glauben und Tradition sowie über andere Religionen seien aber sinnvoll und wichtig. Viele Flüchtlinge und Migranten seien sehr religiös. "Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt, auch bei uns", mahnte der Minister. Damit komme den Religionsgemeinschaften eine große Verantwortung zu, ergänzte de Maiziere.

Mit Blick auf in Deutschland lebende Muslime bekräftigte der Minister die große Chance und Aufgabe, die ihnen bei der Integration anderer Muslime zukomme. Zugleich erklärte der CDU-Politiker, dass Deutschland trotz Toleranz und Offenheit nicht alle fremden Traditionen akzeptieren könne. Etwa eine Hochzeit unter Minderjährigen dürfe es nicht geben, und ein Mann, der von einer Frau kein Essen annehme, bekomme eben keines, so der Minister. Diese gesellschaftlichen Fragen müssten aber noch weiter diskutiert werden, "und nicht nur beim Thema Burka, bitte".

Handlungszwang in der Flüchtlingskrise rief Fehler hervor

Dabei warnte der Minister vor Übertreibungen in der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Im vergangenen Jahr sei vieles schnell, teils provisorisch entschieden und umgesetzt worden. Dabei seien auch Fehler passiert. Doch Hysterie und Polemik würden den eigentlichen Aufgaben nicht gerecht. "Es ist wichtig, dass wir über Sorgen sprechen, aber ohne übertriebene Ängste". De Maiziere rief zugleich dazu auf, nicht nur über die Instrumente der Integration zu sprechen, sondern über deren Ziele.

Bislang gehe es stets um die Kriterien Arbeit, Sprache und Gesetzestreue, "aber ist jeder, der diese Kriterien erfüllt gut integriert? Wohl kaum", sagte de Maiziere. Ziel müsse sein, dass sich jeder zugehörig fühle. "Ohne Neugier, Realismus und Geduld wird die Integration nicht funktionieren", bekräftigte de Maiziere. Dabei werde nicht jeder sofort zurechtkommen, wie auch nicht jeder Deutsche gleichermaßen zurechtkomme. Menschen ohne Bleibeperspektive müssten in ihre Heimat zurückkehren.

Lob für Anstoß zur Wertedebatte

Hamburgs früherer Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) lobte den Anstoß zu einer Wertedebatte, wenn auch ohne den Begriff "Werte". Ihm sei es lieber, von Lebensweisen zu sprechen. Für ihn sei Zivilcourage dabei besonders wichtig, erklärte der ehemalige Bundesbildungsminister: Jeder müsse die Courage haben, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch in der Gesellschaft zu vertreten.

Die Integrationsforscherin Naika Foroutan griff die Frage der Integration als gesamtgesellschaftliches Thema auf. Wenn man die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und die jüngsten Ausschreitungen in Bautzen beobachte, müsse auch hinterfragt werden, wer sich ausgeschlossen fühle. Die Vize-Direktorin am Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt Universität warnte davor, die Integrationsdebatte ausschließlich auf die Migranten auszurichten. "Wir müssen alle mitnehmen", betonte sie: Nur so könne der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährt werden.


Frank-Jürgen Weise (l.), Leiter des BAMF und Klaus von Dohnanyi / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Frank-Jürgen Weise (l.), Leiter des BAMF und Klaus von Dohnanyi / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Naika Foroutan, Vize-Direktorin am Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt Universität / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Naika Foroutan, Vize-Direktorin am Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt Universität / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA