Kirchenhistoriker Gabriel Adrianyi mit Festschrift geehrt

Vom eigenen Vater bespitzelt

Die kommunistischen Überwachungssysteme verursachten bei den Bespitzelten unsägliches Leid. Viele erfuhren erst lange nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wer für die Inhalte ihrer Stasi-Akte verantwortlich war. So auch der Theologe Gabriel Adrianyi.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Am Montagabend sprach bei der Überreichung seiner Festschrift im Kölner Maternushaus der emeritierte Bonner Kirchenhistoriker zum ersten Mal aus, was er wohl selbst lieber niemals erfahren hätte: "Es war mein eigener Vater." Betretene Stille unter den rund 60 geladenen Gästen, als der deutschungarische Wissenschaftler stockend über jenen Tag im Jahr 2007 berichtete, in dem er in Budapest seine Geheimdienstakte einsehen konnte: "Mich traf damals fast der Schlag. Und mein Vater war tot - ich konnte ihn nicht mehr fragen, warum."



Über seine Eltern hatte Adrianyi über Jahrzehnte immer nur mit größter Hochachtung gesprochen. Sein Vater, ein angesehener, großbürgerlicher Rechtsanwalt aus der Zips, hatte selbst über längere Zeit in kommunistischer Haft gesessen. Ob ihn die Machthaber auf diese Weise gebrochen und gefügig gemacht haben? Sein Sohn, Jahrgang 1935, jedenfalls weigerte sich als junger Seminarist in den Jahren nach dem Ungarischen Volksaufstand von 1956, an den vorgeschriebenen Treffen der regimetreuen "Friedenspriesterbewegung" teilzunehmen. Auf Geheiß des Staatskirchenamtes wurde er 1959 des Seminars verwiesen - und schließlich am 2. April 1960 im Geheimen zum Priester geweiht.



Als Seelsorger mehrerer kleiner Gruppen wurde Adrianyi laut seiner Geheimdienstakte bespitzelt, manchmal rund um die Uhr. Als der Druck zu groß wurde und seine Verhaftung offenbar unmittelbar bevorstand, entschloss er sich zur Flucht nach Deutschland. Niemandem erzählte er davon - auch nicht seinen Eltern, um sie nicht zu kompromittieren oder zu gefährden. Noch vor dem Mauerbau gelangte er im Juni 1961 über Leipzig nach Westberlin, wo ihn der damalige Kardinal Julius Döpfner herzlich empfing. Seine ungarische Akte endet mit den Worten: "... hat sich durch Flucht seiner Verhaftung entzogen".



Brückenbauer zwischen Ost und West

Nach weiteren Studien und der Promotion in Rom begann Adrianyi neben seiner Tätigkeit als Seelsorger Ende der 60er Jahre eine akademische Karriere an der Bonner Theologischen Fakultät. Von 1976 bis 2000 war er Ordinarius für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, der neben zahlreichen Auslandsexkursionen in jedem Semester auch eine Sondervorlesung zur Kirchengeschichte Mittel- und Osteuropas anbot.



Als einen "Pontifex auch ohne Bischofsweihe", als einen Brückenbauer zwischen Ost und West, beschrieb ihn sein Professorenkollege, der Bonner Dogmatiker Karl-Heinz Menke, bei dem Festakt am Montagabend. Doch Adrianyi selbst ließ durchblicken, dass seine akademische und priesterliche Laufbahn auch von einiger menschlicher Bitternis begleitet war. In Ungarn sei er der gewesen, der sich davongemacht und "im Westen Karriere gemacht" habe. In Deutschland dagegen sei er, obwohl als Volksdeutscher seit 1966 mit der deutschen Staatsbürgerschaft ausgestattet, teils sogar von Professorenkollegen als "Ausländer" bezeichnet und behandelt worden. Es sei alles vergeben, so sagt er selbst; vergessen könne er es aber nicht.



Zeitweise gab es bei den rund 10 Millionen Ungarn mehr als 760.000 operative Überwachungen; auch viele Bischöfe waren Agenten des Staates. Bei der Aufarbeitung der kirchlichen Zeitgeschichte Ungarns unter den Kommunisten hat der Kirchenhistoriker Adrianyi vor seiner eigenen Geschichte nicht haltgemacht. Es hätte ihm wahrscheinlich einige bittere Erkenntnisse erspart.