Kirche2Go: Gnade

Wie ein Geschenk ohne Grund

"Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade". So hielten protestantische und katholische Kirche in einer viel beachteten Erklärung heute vor 22 Jahren fest. Was genau steckt hinter dem Gnadenbegriff, der in der Kirche so eine große Rolle spielt?

Gottes Gnade ist gratis / © Bärbel Gast (pixelio.de)
Gottes Gnade ist gratis / © Bärbel Gast ( pixelio.de )

Eigentlich klingt es ganz einfach, was der Theologe Dr. Raimund Lülsdorff, Experte für Glaubensfragen im Erzbistum Köln, sagt. Gott schenkt sich. Er wendet sich den Menschen zu, ohne dass der Mensch etwas dafür tun müsste. Eine liebevolle Zuwendung, "zu der Gott in keiner Weise irgendwie gezwungen wäre. Sondern Gott ist der Liebende, ist die Liebe selbst, und diese Liebe will sich einfach verschenken." Sie ist gratis. Und darum lautet das lateinische Wort für Gnade auch "gratia".

Gottes Gnade ist gratis

Und die Menschen? Müssen Sie wirklich gar nichts dafür tun. Nein, sagt der Theologe. Es ist kein Wechsel von Geben und Nehmen, den Gott anstrebt. Es geht zum einen um die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Aber anders herum auch um die Liebe der Menschen zu Gott und zu den Mitmenschen.

"Denn Gott selbst liebt. Und darum möchte er, dass wir diese Liebe erwidern: das ist die Gottesliebe. Aber auch dass wir diese Liebe weitergeben an unsere Nächsten: das ist die Nächstenliebe," erklärt Lülsdorff und verweist damit auf das berühmte Doppelgebot, das Jesus Christus in seiner Verkündigung als das erste und wichtigste Gebot beschreibt (vgl. Matthäus 22,37-40). 

Die Charismen sind wie die Zusatzgeschenke Gottes

Gnade zeigt sich in verschiedenen Weisen, kann auch auf ganz unterschiedlichen Wegen empfangen werden. Ganz bekannt ist dabei das Wort Gnadengabe oder auch Charisma, das griechische Wort für Gnade. Theologe Lülsdorff erinnert an die Geschichte des Christentums. Gott habe diese Gnadengaben verteilt, um die Gemeinden aufzubauen. Da sind die Talente, die jeder Mensch mit der Geburt quasi verliehen bekommt, zum Beispiel – um im Wort zu bleiben – begnadet musizieren zu können.  Gott schenkt aber in seiner Gnade auch Dinge, "die in unserer Natur nicht unbedingt schon so verankert sind," betont Lülsdorff. "Die können dazu kommen. Darum hat man in der hohen mittelalterlichen Theologie gesagt, dass die Gnade die Natur niemals zerstört, sondern immer sie voraussetzt und darauf aufbaut, sie zur Vollendung bringt."

Eine Frage bleibt aber doch. Warum ist Gott denn gnädig mit den Menschen? Der Theologe Lülsdorff meint, "weil Gott keine Umsätze oder Gewinne einfahren muss. Darum kann er wirklich ganz aus sich heraus, aus seinem Wesen heraus, schenken, gratis uns Dinge geben, weil sein Wesen Liebe ist." Lülsdorff meint, das Wesen der Liebe ist der Schlüssel zum Verständnis Gottes.

Der Schlüssel zum Verständnis Gottes ist immer die Liebe

Und auch wenn die Gnade immer ein Geschenk Gottes ist: ohne sie würde dem Menschen zwar auf den ersten Blick nichts fehlen, sagt Raimund Lülsdorff, "dennoch ist die Gnade unabdingbar, um zu Gott zu gelangen. Um die Vollendung des Lebens zu erlangen. Und die ist eben nur in Gott zu kriegen. Wir wollen dort, von wo wir ausgehen, auch wieder ankommen. Nach einem hoffentlich erfüllten Lebensweg, auf dem wir selbst gereift sind und auch anderen Menschen geholfen haben, zu reifen und Gott entgegen zu wachsen." Das ist letztlich die größte Gnade.