Warum spenden viele eher für ein Gebäude als für Notleidende?

"Notre-Dame kann man anfassen und sehen"

Rund um den Globus sammeln Menschen für den Wiederaufbau von Notre-Dame. Warum nicht für notleidende Menschen, fragen Kritiker. Bruder Paulus Terwitte sieht einen Grund darin, dass man menschliches Leid nicht sehen kann.

Nach dem verheerenden Brand der Kathedrale Notre-Dame / © Gareth Fuller (dpa)
Nach dem verheerenden Brand der Kathedrale Notre-Dame / © Gareth Fuller ( dpa )

DOMRADIO.DE: Für den Wiederaufbau der zerstörten Kathedrale Notre-Dame kamen innerhalb weniger Tage Millionenbeträge zusammen. Warum sitzt das Geld nicht so locker, wenn es um Menschen im Jemen oder in Mosambik geht?

Bruder Paulus Terwitte (Leiter des Kapuzinerklosters Liebfrauen in Frankfurt): Das Leid der Menschen im Jemen, in Syrien, in Nordindien und anderen Ländern ist unvorstellbar. Wenn aber so eine große Kathedrale wie Notre-Dame durch ein Feuer zerstört wird, sagen alle, dass sie helfen müssen - auch, weil da viele zusammenkommen und so konzentriert auf diesen Unglücksort sind. Es ist ein "cooles" Gemeinschaftserlebnis.

Man muss sagen: Wer spendet, der erwartet auch ein Lob dafür. Alle sehen sofort, was man Gutes getan hat, das gehört dazu. Auf der einen Seite ist es natürlich schön, dass es selbstverständlich ist, ein Kulturdenkmal wieder zu renovieren. Auf der anderen Seite wird gesagt, wenn Kirchen renoviert oder Orgeln gebaut werden: Ein Euro für die Kunst, ein Euro für die Not.

DOMRADIO.DE: Der Großbrand in Notre-Dame ist ein schlimmes Ereignis. Andere schlimme Ereignisse wie der Zyklon in Mosambik gehen eher an uns vorbei. Warum?

Terwitte: Ich glaube, dass das menschliche Leid auf dieser Welt im Einzelnen nur schwer geheilt werden kann. Da muss man Menschen jahrelang begleiten. Dieses Leid sieht man nicht, man kann es auch nicht fühlen. Notre-Dame kann man anfassen und sehen, dass es wieder aufgebaut wird. Gleichzeitig wird das Selbstbewusstsein in der Gemeinschaft gefördert, weil man etwas gemeinschaftlich anpackt. Einzelne Menschen irgendwo in der Ferne gehen einem irgendwie am Herzen vorbei.

DOMRADIO.DE: Ist es also leichter für etwas zu spenden, wo man am Ende sehen kann: Was kaputt war, ist wieder heil?

Terwitte: Genau, Notre-Dame scheint ja ein überschaubares Werk zu sein. Man kann etwas fertig bekommen. Die Ansage von Macron, dass der Wiederaufbau in fünf Jahren fertig sein wird, ist letztlich auch werbewirksam. Aber die Baumeister haben schon gesagt, dass es eher 15 Jahre braucht. Da braucht man einfach einen längeren Atem. Den wünscht man sich natürlich auch von Menschen, die sich für ein Wasserhilfsprojekt oder ein Schulprojekt einsetzen. Auch hier braucht es manchmal noch mehr Erwärmung für das einzelne Projekt und das wird eben über die Medien nicht so transportiert.

DOMRADIO.DE: In den Sozialen Medien werden die Spenden für Notre Dame kontrovers diskutiert. Da heißt es: Warum muss man noch zu Spenden aufrufen? Andere fragen: Wohin kann ich spenden? Was meinen Sie: Welche Rolle spielen Medien in der ganzen Geschichte?

Terwitte: Ich glaube, dass die Medien aufeinander schauen, wer über was berichtet und wo gerade alle draufspringen. Ich denke, man könnte auch darüber berichten, dass jede Woche in Frankreich irgendeine Kirche durch Vandalismus zerstört wird. Das ist nur eine Nachricht, die man mehr verbreiten könnte. Und auch an anderen Stellen ist wirklich Hilfe notwendig. Es ist tatsächlich so, dass ein Sog entsteht. Medien sollten sich aber in diesen Sog nicht hineinziehen lassen, sondern immer auch fragen: Berichten wir über andere Unglücke auch so, wie wir hier berichten? Ich habe jetzt zum Beispiel gelesen, dass in Jerusalem ein Gotteshaus halb abgebrannt sein soll - fast zeitgleich mit Notre Dame. Darüber hat man wenig gehört.

DOMRADIO.DE: Die Spendensummen für Notre-Dame sollen enorm sein. Manche reden von fast einer Milliarde Euro, die innerhalb von zwei Tagen zusammengekommen ist. Sprechen wir hier von einer neuen Dimension?

Terwitte: Ja, das Unglück selber ist auch eine neue Dimension. Dass so etwas im Zentrum von Paris einfach passiert, macht viele Menschen in unserer sicherheitsverwöhnten Welt betroffen. Es wird zu Spenden aufgerufen, um zu sagen: Wir brauchen dieses Symbol wieder. Ja, wir brauchen dieses Symbol wieder, aber es hat auch schon etwas Dämonisches, dass jetzt solche Geldbeträge auch noch öffentlich ausgelobt werden, als ob man mit Geld eine Wunde heilen könnte. Man kann nur hoffen, dass die Inhalte, die mit der Notre-Dame-Kathedrale verbunden sind, genauso gefördert werden, wie die Steine drumrum, die wieder aufgebaut werden.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )
Quelle:
DR