Kirche2Go: Das Himmlische Jerusalem

Wo Gott alle Tränen trocknen wird

Immer wieder ist im christlichen Glauben vom "Himmlischen Jerusalem" die Rede. Doch ist mit diesem geflügelten Wort eben nicht der irdische Ort gemeint. Was steht dahinter?

Grabeskirche in Jerusalem / © wikimedia/Lanee Lee/CC BY-SA 3.0
Grabeskirche in Jerusalem / © wikimedia/Lanee Lee/CC BY-SA 3.0

"Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen." (Offenbarung 21,1-3)

So lautet die Beschreibung des Himmlischen Jerusalem in der Offenbarung des Johannes – dem letzten Buch der Bibel. Es sind rätselhafte Worte des Sehers Johannes, den die Kirche immer mit dem Apostel gleichgesetzt hat. In einer Vision beschreibt der ein prächtiges Jerusalem als Wohnung Gottes unter den Menschen – und man ahnt bereits: Mit dem tatsächlichen Ort im Nahen Osten hat das Himmlische Jerusalem wenig zu tun. Bibelwissenschaftler Gunter Fleischer erklärt, dass es vielmehr ein "Bild für den auf uns wartenden Gott und wiederkehrenden Christus" ist: "Das Bild will sagen, es geschieht etwas von jenseits des Todes her, es geht weiter. Aber anders. Das himmlische Leben ist nicht einfach die Fortsetzung des bisherigen."

Jerusalem seit jeher als Ort der besonderen Gottesnähe

Sondern etwas völlig Neues. Und das wird in der Offenbarung des Johannes in großen Bildern ausgeschmückt. Das letzte Buch der Bibel wird darum auch als Trostbuch bezeichnet. Gott selbst, so heißt es darin, werde im Himmlischen Jerusalem alle Tränen trocknen und der Tod wird nicht mehr sein. Dass diese Himmelsvorstellung nun gerade mit dem irdischen Ort Jerusalem verbunden wird hat mit einer damals im 1. Jahrhundert schon lange gewachsenen Vorstellung zu tun. Demnach wurde Jerusalem immer schon als Ort einer besonderen Gottesnähe wahrgenommen.

Ein Schlüsselerlebnis war ein Ereignis aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, als der assyrische König mit seinem Heer Jerusalem belagerte und plötzlich, für die Jerusalemer grundlos, abzog und die Belagerung einfach abbrach. "Das war das Ereignis schlechthin, das zeigte: Wir sind uneinnehmbar", erklärt Fleischer. "Und 'wir' hieß dabei: Unser Gott ist nicht besiegbar. Also: Jerusalem wird zum Symbol des unbezwingbaren Gottes, der wie ein Fels ist."

Jerusalem gerät in Bedrängnis – die Sehnsucht wächst

Dieses und möglicherweise weitere Ereignisse sind so eindrücklich, dass Jerusalem heute sogar von drei Religionen als Ort besonderer Gottesnähe verehrt wird. Als aber die Vorstellung von einem Himmlischen Jerusalem aufkommt – übrigens bei Juden wie Christen gleichermaßen – ist Jerusalem selbst als Ort der Gotteserfahrung gewaltig in Bedrängnis geraten. Die aufstrebenden Griechen beginnen im 2. Jahrhundert vor Christus die Religion zu unterdrücken zugunsten des Herrscherkultes.

"Damit gerät im Alten Testament das Judentum in existentielle Not. Und im Neuen Testament gilt das zur Römerzeit genauso", weiß Fleischer: "So erleben die Christen etwa unter Nero und mehr noch unter Domitian im ausgehenden 1. Jahrhundert auch ihre Situation. Sie werden als religiöse Gruppe verfolgt."

Die Rede vom Himmlischen Jerusalem gehört zur Apokalyptik

In dieser Zeit, da das irdische Jerusalem unterzugehen scheint, entsteht die Rede vom Himmlischen Jerusalem. Dahinter steht die theologische Bewegung der Apokalyptik, die die noch vorausliegenden Geschehnisse am Ende der Zeit beschreibt. So wie in der Offenbarung des Johannes. Durch die Rede vom Himmlischen Jerusalem soll klar werden: Jerusalem bleibt der Ort der Sehnsucht nach Gottes Nähe. Auch wenn in der so heiligen Stadt Gott gerade fern zu sein scheint, es kommt der Tag, an dem er alles zum Guten wenden wird. Die erschütternde Gegenwart führt dazu, dass die Erwartung an das zukünftige Himmlische Jerusalem nur umso großartiger ist.   

Die Offenbarung des Johannes beschreibt dieses Jerusalem grandios: Die Tore und Mauern aus Edelsteinen. Die Beschreibung des glanzvollen himmlischen Jerusalem muss als Bild verstanden werden. Entscheidend dabei ist der Glaube: Gott wird am Ende der Zeit etwas Neues machen, das alle Vorstellungen übersteigt. Keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal, so heißt es im Text der Offenbarung. Diese Hoffnung ist in die Liturgie der christlichen Beerdigung eingegangen, wenn das Himmlische Jerusalem als die Erwartung für den Verstorbenen besungen wird: "Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, und dich führen in die Heilige Stadt Jerusalem."