Kapitelsamt am siebten Sonntag im Kölner Dom

"Trauen wir dem Anderen zu, dass er anders ist"

Domkapitular Thomas Weitz feierte am siebten Sonntag das Kapitelsamt im Kölner Dom. Das Evangelium an diesem Sonntag provoziert – nicht nur aufgrund der Gewalttaten in Hanau. Aber es gibt auch Antworten, nicht nur an Karneval.

Kölner Dom (shutterstock)

Domkapitular Thomas Weitz beginnt seine Predigt humoristisch und zeigt verdeutlicht mit einem Witz – passend zum Karnevalssonntag – das heutige Evangelium. "Liebt Eure Feinde" heißt es darin. "Diese Text beißt uns und könne als Provokation aufgefasst werden", meint Weitz angesichts der Gewalttaten in Hanau. Die Liebe stehe gegen dem Hass, der den Menschen von Anfang an begleite.

Auch Karneval könne diesbezüglich etwas Therapeutisches haben, sagt Domkapitular Weitz. Entwaffnend leben, sodass der Hass ins Leere gehe – verbunden mit dem Glauben könne so eine Gegenmacht der Liebe stehen. "Trauen wir dem Anderen zu, dass er anders ist – nicht nur an Karneval", so Weitz.

DOMRADIO.DE übertrug am siebten Sonntag im Jahreskreis das Kapitelsamt aus dem Kölner Dom mit Domkapitular Thomas Weitz. Es sangen The Boys of St. Paul's Choir School aus Boston, USA, unter der Leitung von James Kennerley. An der Orgel: George Warren und Maks Adach.

Auslegung zum Sonntagsevangelium (Mt 5,38-48) 
von Franz Kamphaus

Jesus sagt nicht: Wenn dich jemand schlägt, dann ertrag’s in Geduld, opfere es auf. Er plädiert nicht dafür, sich rein passiv zu verhalten. Er verkündet schon gar nicht eine Moral für Feiglinge. Er sagt: „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (39). Und weiter: Wenn jemand dir das letzte Hemd pfänden will, „dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm“ (40 f.). All diese Fälle lassen eine neue Initiative erkennen. Dem, der mich schlägt, sage ich: Auch wenn du noch einmal schlägst, ich schlage nicht zurück. Ich mache das alte Spiel nicht mit, ich steige aus.

Spüren Sie, da wird ein Keil geschlagen in den Teufelskreis von Rache und Vergeltung. Es entsteht ein Freiraum, eine ungewöhnliche Situation. Normalerweise ist es doch so: Der Angreifer diktiert das Gesetz des Handelns, und der Angegriffene lässt sich nichts anderes einfallen als zurückzuschlagen. Das ist einfallslos. Jesus ermutigt zu einer neuen schöpferischen Initiative. Der Angegriffene sieht im Gegenüber nicht den Feind, sondern den Menschen, den Gott geschaffen hat. Wer ihn seinen Vater nennt, für den ist das Freund-Feind-Schema grundsätzlich überholt. Er weiß, dass der andere, der sich gegen ihn wendet, gerade in dieser Situation nicht aus seiner Verantwortung entlassen ist. Und nun sagt die Liebe, was zu tun ist und was nicht. Sie kann ihm raten, auf sein gutes Recht zu verzichten und die andere Backe hinzuhalten.

Aus: Magnificat. Das Stundenbuch. Februar 2020