Redemanuskript von Klimaaktivistin Luisa Neubauer

Luisa Neubauer, Aktivistin bei der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, und Jonathan Safran Foer, Schriftsteller, bei einer Pressekonferenz zum neuen Umweltschreiben Laudate Deum im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Luisa Neubauer, Aktivistin bei der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, und Jonathan Safran Foer, Schriftsteller, bei einer Pressekonferenz zum neuen Umweltschreiben Laudate Deum im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Mein Name ist Luisa Neubauer, ich bin eine Klimaaktivistin aus Deutschland. Ich bin an einem der privilegiertesten Orte der Welt aufgewachsen, in Hamburg in Deutschland. Und so wie meine Eltern sich um mich gekümmert haben, dachte ich, unsere Regierungen würden sich um die großen Probleme in der Welt kümmern.

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, die mir sagte, dass alles gut werden würde, dass, wenn die Wirtschaft wächst, es Schritt für Schritt allen Menschen auf der Welt gut gehen würde. Heute nenne ich das ein Märchen. Irgendwann habe ich das Märchen durchschaut. Und als ich es herausfand, begann ich zu handeln, und zum Glück war ich nicht allein. Wir waren Tausende, wir waren Hunderttausende und dann Millionen, Freitag für Freitag.

Und für einen kurzen Moment im Jahr 2019 sah es so aus, als würde es klappen. Und jetzt sind wir hier, im Jahr 2023, und erleben, wie Kindheiten auf der ganzen Welt überflutet und verbrannt werden. Was mich jedoch erschreckt, ist nicht die Krise allein. Was mich erschreckt, ist die Art und Weise, wie unsere Politiker auf die Krise reagieren. Papst Franziskus hat Recht mit seiner Sorge, dass wir im Inbegriff sind, unsere Chance zu verspielen.

Manche sprechen von Untätigkeit der Regierungen. Ich glaube nicht, dass dies zutrifft. Die Regierungen handeln überall. In den letzten Jahren hat die große Mehrheit von ihnen eine Kehrtwende vollzogen und damit begonnen, alles zu tun, um die Interessen der fossilen Industrie zu befriedigen und einen echten Wandel zu verhindern.

Laudate Deum zeigt auf, wie schädlich der derzeitige Weg ist. Die Industrie für fossile Brennstoffe plant weiterhin ihre Expansion, während sie sich selbst mit Greenwashing beschönigt – und all das, obwohl die Wissenschaft klar sagt: Jedes neue Projekt für fossile Brennstoffe gefährdet unsere planetare Sicherheitsgrenze. Laudate Deum nennt es "selbstmörderisch".

Und unsere Regierungen? Anstatt diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, haben die Regierungen begonnen, diejenigen zu kriminalisieren, die unsere Lebensgrundlagen verteidigen. Sie haben damit begonnen, uns – wie es in Laudate Deum heißt – als "radikalisiert" darzustellen. Regierungen radikalisieren damit, wie sie über uns sprechen und indem sie Klimaaktivisten regelmäßig inhaftieren. Erst letzte Woche haben wir erfahren, dass unser Freund und Klimaaktivist Hong in Vietnam zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nur weil er dazu beigetragen hat, Vietnam zu einem nachhaltigeren Ort zu machen.

Früher hatte ich Angst vor der Klimakrise. Was mir jetzt Angst macht, ist die Frage, wie wir als Klimaaktivisten in diesem eskalierenden Klima der Unterdrückung und Kriminalisierung weitermachen sollen. Wir sehen, dass sich eine multilaterale Vertrauenskrise abzeichnet, da der sogenannte globale Norden sowohl seine Klimaversprechen als auch seine Finanzierungsversprechen nicht einhält. Diese Krise muss dringend überwunden werden. Wenn Länder, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, wie der Gastgeber der bevorstehenden UN-Klimakonferenz, es zulassen, dass demokratische Räume von der Ölindustrie erstickt werden, muss die Kirche ihre Stimme erheben.  

Laudate Deum spricht von dem, was ich eine Krise der Kultur nennen würde, davon, dass die Menschheit es versäumt hat, eine tiefe Beziehung zu ihrer natürlichen Wiege, der Erde, aufzubauen. Wenn Leute wissen, wie viel wir zu verlieren haben, aber wenig bekannt ist, was wir noch zu gewinnen und zu erforschen haben, dann ist es kein Wunder, dass Menschen die Klimakrise verleugnen.

Und es gibt noch eine weitere Krise, die ich hinzufügen möchte. Es ist die Krise der Hoffnung. Es ist die Verzweiflung, die unter jedem leeren Versprechen krabbelt. Es ist die Hoffnungslosigkeit, die dort auftaucht, wo privilegierte Zyniker uns immer wieder sagen, dass es "einfach zu spät" ist. 

Man sagt uns Aktivisten gerne, dass "wir ihnen so viel Hoffnung geben", und ich frage mich. Habt ihr euch jemals gefragt, wer uns Hoffnung gibt? Früher hatte ich Angst, in der Klimakrise zu versagen, jetzt habe ich Angst, dass die Leute es gar nicht erst versuchen. Und doch – es gibt einen Silberstreif. Wir wissen, was es braucht, wir wissen, welche Schritte als nächstes kommen werden. Laudate Deum legt es offen. 

Erstens: Die Zivilgesellschaft und die Klimaaktivisten müssen um jeden Preis geschützt werden. Eine freie und emanzipierte Zivilgesellschaft ist von grundlegender Bedeutung für jede Chance auf eine Versöhnung mit unserer einzigen Heimat, dem Planeten Erde. 

Zweitens muss die bevorstehende Klimakonferenz ihre Bereitschaft unter Beweis stellen, eine globale und endgültige Abkehr von unseren Bindungen an fossile Brennstoffe herbeizuführen. Bei unserem Treffen heute Morgen sagte uns Papst Franziskus, dass “the future belongs to diese junge Leute” [these young people].

Als eine von diesen jungen Leute und als Klimakativistin möchte ich Laudate Deum einen weiteren Aufruf hinzufügen: Wir brauchen Institutionen, Führungspersönlichkeiten, Glaubensgemeinschaften, Menschen jeden Alters, wir brauchen euch, um Aktivisten zu werden. Wir brauchen euch, damit ihr nicht mehr auf die Hoffnung wartet, sondern sie werdet. Papst Franziskus hat gezeigt, wie man das macht. 

Und wenn der Papst es geschafft hat, mit allem, was es in einer Institution wie der katholischen Kirche braucht, zu einer – wie ich es ausdrücken würde – kollektiven, kulturellen und spirituellen Revolution aufzurufen, dann bin ich mir sehr sicher, dass es für alle anderen nicht zu viel verlangt ist. 

Und bitte verstehen Sie dies auch als einen Aufruf an die katholische Kirche, ein echter Verbündeter für diejenigen zu werden, die an vorderster Front kämpfen.  Stoßen sie vollständig alle fossilen Vermögenswerte und Investitionen ab. Die offiziellen Leitlinien von Laudato Si aus dem Jahr 2020 haben den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen befürwortet. Jetzt muss der Rest der Kirche folgen. 

Es ist in Ordnung, Angst zu haben. Sie sollte nur niemanden davon abhalten, das zu tun, worum uns diese Zeit bittet. Damit wir unseren Kindern eines Tages keine Märchen mehr erzählen müssen. Sondern die Geschichte erzählen können, wie wir zu der Welt geworden sind, die wir ihnen hinterlassen wollen. (Es handelt sich um das Redemanuskript der Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei der Pressekonferenz zu neuen Umweltschreiben "Laudate Deum". Quelle: Luisa Neubauer, 5.10.2023)