Bachs Weihnachtsoratorium in der Vorstellung

Evangelische Mystik

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach rührt seit rund 250 Jahren die Menschen. Zwischen der Schilderung der biblischen Handlung gibt es freigedichtete Texte, die die Handlung kommentieren. Und genau da zeigt sich, dass der berühmte Thomaskantor aus Leipzig auch ein theologisch tiefgründiges Werk geschrieben hat.

 (DR)

Es ist wohl die berühmteste Vertonung der Weihnachtsgeschichte überhaupt und besteht aus 6 Teilen. Besetzt ist es für Gesangssolisten, Chor und Orchester. Zu Bachs Zeiten wurde es nicht als ganzes an einem Tag aufgeführt, sondern nach und nach an sechs verschiedenen Tagen in den Gottesdiensten in Leipzig, und zwar in der Zeit vom ersten Weihnachtstag bis zum Fest Erscheinung des Herrn am 6. Januar. Beginnend mit der Herbergssuche, der Geburt im Stall, dem Erscheinen der Engel auf dem Felde bis hin zur Ankunft der Heiligen Drei Könige. Wie ein roter Faden ziehen sich das Lukas- und Matthäusevangelium mit Maria, Josef und dem Kind durch das Werk. Ein vierstimmiger Chor stellt wechselweise Engel oder  Hirten dar, singt stimmungsvolle Choräle oder bricht in Jubelgesänge aus.

Wichtig neben dem biblischen Bericht sind die freigedichtete Texte, die vermutlich Christian Friedrich Henrici geschrieben hat und Bach für sein Oratorium vertonte. In diesen Texten geht es um die Zuhörer direkt, werden sie persönlich angesprochen. Wie steht jeder einzelne zum Kind in der Krippe? Wie sieht es mit meinem Glauben aus? Denn Bach schrieb das Werk nicht für ein womöglich distanziertes Konzertpublikum, sondern für Gläubige im Gottesdienst. Schon im ersten Choral  "Wie begegne ich dir?" fragt der Chor deswegen nach der persönlichen Haltung des Einzelnen.

Verschiedene Bilder für die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen werden in dem Weihnachtsoratorium verwendet. Eine wichtige Rolle spielt hier das Herz. Das Geheimnis von der Menschwerdung Gottes in der Krippe will das subjektive Ich fest in sein Herz einschließen. Es geht nicht nur um ein Nachempfinden des weihnachtlichen Geschehens, sondern um ein wahrhaftiges Sich-Einlassen auf Jesus.

Bereits in der mittelalterlichen Mystik gibt es den Gedanken des Eins-Werden mit Christus, die Vorstellung, dass das Leben des gläubigen Menschen ganz in Christus ist. Diesen Gedanken der unio mystica verfolgen auch die Theologen der Reformation und damit auch der Textdichter des Weihnachtsoratoriums. Die Vereinigung mit Gott wird in mehreren Bildern verdeutlich, vor allem durch die Vorstellung von Braut und Bräutigam. Jesus ist der Bräutigam, die Kirche, der einzelne Gläubige die Braut:

Das Bild von Braut und Bräutigam steht für die gegenseitige Liebe zwischen Christus und des gläubigen Menschen. Diese Vereinigung mit Gott versteht die evangelische Theologie streng von der Gnade Gottes her. Nicht der Menschen kann diese Einheit irgendwie herbeibeten, sondern er kann nur auf die Rettung durch Gott hoffen. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Mensch auf das Geschehen am Stall von Bethlehem einlässt. Das Weihnachtsoratorium ist also weit mehr als nur festliche Musik – Bach verweist in seiner Komposition auf das Geheimnis von Weihnachten.

Text: Mathias Peter

CD-Empfehlung:

J. S. Bach: Weihnachtsoratorium

Ruth Ziesak, Sopran

Monica Groop, Alt

Christoph Pregardien, Tenor

Klaus Mertens, Bass

Vokalensemble Frankfurt, Concerto Köln

Leitung: Ralf Otto

Label: Capriccio

 

(Erstsendedatum: 26.12.2015)