Wolfgang Thierse über die deutsche Einheit 89/90

Mein Christ-Sein war in der DRR eine Kraft zum Überleben

„Die friedliche Revolution ist Anlaß für ostdeutsches Selbstbewußtsein“, sagt Wolfgang Thierse im domadio.de Interview: „Wir haben im Osten wesentlich zur Einheit beigetragen“. Thierse reagiert damit auf die Beschimpfungen von Helmut Kohl, der sagte, es sei dem Volkshochschulhirn von Wolfgang Thierse entsprungen, dass der Zusammenbruch des SED-Regimes durch die Proteste auf der Straße entschieden wurde.

Wolfgang Thierse / © Andrea Wolf
Wolfgang Thierse / © Andrea Wolf

„Über die DDR und ihr Ende urteilen heute viele, die nicht in der DDR gelebt haben“, sagt Thierse. Er fordert dazu auf, die Geschichte der DDR genau anzuschauen – mit all den Versuchen der Menschen dort, das Land zu verändern, von 1953 über 1968 bis 1989. Seine erste Bundestagsrede hielt Thierse am Tag nach der Wiedervereinigung. „Schon als zehnjähriger Junge habe ich im Radio oft Bundestagsdebatten aus dem Westen gehört und war davon begeistert. Damals dachte ich, das müßte ich auch können, frei reden, mich einsetzen für Menschen mit der Kraft des Wortes, die nicht die Kraft und Macht des Wortes haben, und daran habe ich mich bei der Rede erinnert, und dass ich später Parlamentspräsident werden konnte, war für mich die Erfüllung eines Jugendtraumes.“

Ihm persönlich habe das Christ-Sein in der DDR Kraft zum Überleben gegeben. „Ich bin immer Christ und Politiker zugleich“, erzählt Thierse. Und das gelte auch für die Zeit nach 1989. Denn auch in den demokratischen Machtkämpfen gehe es häufig sehr ruppig zu. „Wenn man wirklicher Christ ist, weiß man doch auch, dass man nicht für alles zuständig und verantwortlich ist“, sagt Thierse: „Der christliche Gaube ist immer auch eine Einladung zu einer letzten heiteren Gelassenheit, trotz aller Probleme, Schmerzen und Enttäuschungen“.


Thierse im domradio.de Interview / © Andrea Wolf
Thierse im domradio.de Interview / © Andrea Wolf