Ute Wegmann über die Autobiografie von Judith Kerr

'Geschöpfe. Mein Leben und Werk'

'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl' ist ein Klassiker. Viele von uns haben das Jugendbuch von Judith Kerr in der Schule gelesen. Sie schildert darin aus der Perspektive eines Kindes, wie eine Familie vor Hitlerdeutschland über Umwege nach London flieht. Judith Kerr hat am 14. Juni in London ihren 95. Geburtstag gefeiert. Passend zum Geburtstag ist jetzt ihre Autobiografie erschienen - mit dem Titel: 'Geschöpfe. Mein Leben und Werk'.

Ute Wegmann / © Thekla Ehling
Ute Wegmann / © Thekla Ehling

Ute Wegmann ist Judith Kerr Expertin. Sie hat nicht nur die soeben erschienene Autobiografie ins Deutsche übertragen, sondern bereits vor fünf Jahren eine Ausstellung mit Illustrationen aus den Bilderbüchern von Judith Kerr im Bilderbuchmuseum in Troisdorf kuratiert. Wegmann hat Ute Kerr bereits vor fünf Jahren, da wurde sie gerade 90 Jahre alt, in London getroffen. "Sie lebt allein in ihrem kleinen Haus in Barnes im Nordosten von London", erzählt Wegmann, "sie öffnete persönlich die Tür. Sie war so unglaublich charmant, so freundlich und zugewandt. Ich habe auf Deutsch mit ihr gesprochen. Eine Stunde lang. Dann sagte sie 'I am sorry', aber jetzt muss ich wieder nach oben an meinen Schreibtisch und weiterzeichnen."

Jetzt weiß ich viel mehr

In dem Jugendbuch 'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl', das 1971 erschien, wurde zum ersten Mal aus der Perspektive eines Kindes erzählt, wie eine jüdische Familie vor den Nationalsozialisten aus Berlin fliehen muss und über Umwege nach England kommt. Das war damals eine Sensation. Denn immer noch wurden die Verbrechen aus der NS-Zeit vertuscht und verschwiegen. Mit diesem Buch wurde Judith Kerr weltberühmt. Ihre Geschichte des jüdischen Mädchens Anna trägt viele autobiografische Züge. Die neue Autobiografie unterscheidet sich von diesem autobiografisch geprägten Roman, denn damals habe sie viele Dinge über ihren Vater, über ihre Eltern noch nicht gewusst, erzählt Ute Wegmann. "Damals wollte sie ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Flucht mit ihren Eltern nur für ihre eigenen Kinder festhalten. Jetzt in der Autobiografie schreibt sie den schönen Satz. 'Jetzt weiß ich viel mehr, auch durch das Alfred Kerr Archiv in Berlin'. Dort hat sie Briefe und Briefwechsel gelesen, die sie gar nicht kannte. 'Jetzt kann ich in dieser Autobiografie alles geraderücken, was ich damals noch nicht gewusst habe'."

Judith Kerrs enge Beziehung zu ihrem Vater

Besonders liebevoll schreibt Judith Kerr über ihren Vater Alfred Kerr. Der Berliner Theaterkritiker war damals in ganz Deutschland bekannt. Alfred Kerr war ein erklärter Hitlergegner. Deshalb musste er mit seiner Familie Hals über Kopf fliehen, kurz bevor sein Pass eingezogen werden sollte. In ihrer Autobiografie kommt Judith Kerr ihrem Vater ganz nah. "Siebzig Jahre nach seinem Tod habe ich immer noch das Gefühl, dass ich mich in meinem Kopf mit ihm unterhalten kann", zitiert Ute Wegmann Judith Kerr. "Sie hat eine so enge Beziehung zu ihm gehabt, weil sie ihn in seiner Arbeit und in seinem Menschsein so wertgeschätzt hat."

Judith Kerrs Kindheitsgeschichte ist die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie und allein deshalb schon hochaktuell. Sie erzählt vom Verlust ihres Zuhauses, von der bitteren Armut nach der Vertreibung aus Berlin, davon, wie die Eltern die Kinder beschützt haben, wie eine Familie ein Leben in großer Not durchleidet und mit Bescheidenheit, Würde und Liebe durchlebt. "Ganz, ganz bescheiden ist Judith Kerr durch ihre Kindheit und Jugend gegangen", erzählt Wegmann, "umso beachtlicher ist es, wie sie sich diese Bescheidenheit und auch eine Art von Demut dem Leben und diesem großen Glück gegenüber bewahrt hat."

Der weltberühmte Kater Mock

Später in London wurde Judith Kerr nicht nur eine weltbekannte Schriftstellerin, sondern vor allem auch Illustratorin. Ihre Kinderbücher über den 'Kater Mock' sind Weltbestseller. So enthält die Autobiografie auch viele kunterbunte Illustrationen von Judith Kerr – und sie erzählt eine wunderbare Liebesgeschichte, die sie mit ihrem Mann, dem  britischen BBC-Fernsehautor Nigel Kneale, erlebt hat. In der BBC Kantine haben sich die beiden getroffen und es war Liebe auf den ersten Blick. "Das ist übrigens sehr, sehr schön nachzulesen in ihrer Autobiografie", erzählt die Übersetzerin Ute Wegmann. "Was mich beeindruckt hat, wie sie von dem Glück, von der Beziehung zu ihrem Mann erzählt, von dieser tollen Ehe und wie inspirierend die beiden miteinander gearbeitet haben und bis zum letzten Moment miteinander immer im Dialog waren."


Judith Kerr / © Soeren Stache (dpa)
Judith Kerr / © Soeren Stache ( dpa )
Quelle:
DR