Tomer Gardi über 'Sonst kriegen sie ihr Geld zurück'.

Die krasse Realität in märchenhaften Kleidern

Wie kann ein Schriftsteller nachweisen, dass er Schriftsteller ist? Tomer Gardi schickt einen arbeitslosen Autor auf das Arbeitsamt. Aber der Beamte nimmt ihm seinen Beruf nicht ab. Der Autor beginnt Geschichten zu erzählen, um seine Identität unter Beweis zu stellen.

Tomer Gardi / © Shiraz Grinbaum (Droschl)
Tomer Gardi / © Shiraz Grinbaum ( Droschl )

"Das ist Realität in märchenhafte Kleider verkleidet", sagt Tomer Gardi im DOMRADIO.DE Interview. In seinem Roman 'Sonst kriegen sie ihr Geld zurück' bittet ein arbeitsloser Schriftsteller auf dem Arbeitsamt um Unterstützung, benötigt dafür aber den Stempel des Beamten, der ihm bestätigen soll, dass sein Beruf 'Schriftsteller' ist. 'So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller', sagt der Beamte. Der Autor schlägt ihm einen Deal vor. Er erzählt dem Mann hinterm Schreibtisch eine Geschichte, die ihm bei Gefallen den Nachweis einbringt, tatsächlich ein Schriftsteller zu sein. Vorbild für die Rahmenhandlung in Tomer Gardis Roman ist Scheherezade, die dem König in 1001 Nacht Geschichten erzählt und damit verhindert, dass der König sie töten läßt.

Den krassen Alltag märchenhaft verkleiden

Mit allen Mitteln versucht der arbeitslose Schriftsteller den Beamten in seinen Bann zu ziehen, doch der schaut zunächst nur auf seinen Computer, spielt mit der Computermaus, schaut den Schriftsteller nicht einmal an. "Um die Augen von dem Beamten hochzukriegen, damit er ihn anschaut, erfindet der arbeitslose Schriftsteller eine Erzälerinnenfigur mit einem sehr komischen Namen, damit der Beamte ihn anschaut", erklärt Tomer Gardi, warum er seinen Schriftsteller auf einmal Tolly Grotesky nennt. Und Tolly Grotesky beginnt mit wild wuchernder Phantasie, den oft öden Alltag in bunte, märchenhafte Kleider zu stecken. "Das Prinzip ist, dass die Erzählerin durch den Alltag einer israelischen Stadt streift", sagt Tomer Gardi. "Sie weiß aber, dass der Beamte diese Geschichten so klar und direkt aus dem Alltag nicht hören wollen würde, weil diese zu krass und zu unschön sind. Deswegen verkleidet sie die Geschichten in märchenhafte Kleider, damit der Beamte sie leichter herunterschlucken kann".

Keine Geschichte bleibt sich gleich

Tolly Grotesky erzählt von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt oder vom Triumph und der Qual in Stierkampfarenen oder von einem jungen israelischen Soldaten, der sich betrinkt. Die reale Welt ist ein Absurdistan. Tomer Gardi macht das wunderbar sichtbar. Er spielt mit der Sprache wie mit dem Leben, mäandert zwischen den Erzählebenen, geht auf Entdeckungsreise in eine phantastische Welt, die direkt vor unserer Haustür liegt. 'Aber keine Geschichte bleibt sich gleich, immer identisch, eindeutig. Es gibt sie nicht, die eine, gleichbleibende Version, und deshalb redeten wir weiter', heißt es im Roman.

In Israel gibt es keinen Willen nach einem Ausweg

Der Roman 'Sonst kriegen sie ihr Geld zurück' spielt in Israel. 'Hier ist alles so klein. Und eng', läßt Tomer Gardi seine Erzählstimme sagen, 'und alles ist umzäunt. Jeder kennt jeden. Wir sind nicht in Nevada. Nicht in der Mongolei. Wir haben keine Pampa, wohin sollen sie denn fliehen, großmächtiger König, nach Modiin? Nach Afula? Nach Beit Jann?' Gibt es in Israel kein 'Wohin' fragen wir den Autor. "Wenn sie das politisch meinen, gibt es immer ein Wohin", antwortet Gardi. "Aber in Israel gibt es keinen Willen nach einem Wohin und keine politischen Mächte, die ein Interesse haben, ein Wohin zu finden. Leider!". Das habe damit zu tun, sagt Gardi weiter, dass vom Status Quo sehr viele Menschen profitieren, die zurzeit die Macht haben – und um den Status Quo zu ändern, müsse man sehr mutig sein und viele Risiken eingehen, und das ist nicht die Richtung, in die die Politik in Israel jetzt geht".


Quelle:
DR