Stefan Weidner über Ibn Arabis Gedichtzyklus "Der Übersetzer der Sehnsüchte“

Was Salafisten zur Weißglut treibt

"Ibn Arabi versucht, den islamischen Glauben von der strengen Orthodoxie wegzuholen und als gelebten Glauben den Menschen nahe zu bringen“. Der Islamwissenschaftler und Autor Stefan Weidner hat den Gedichtzyklus "Der Übersetzer der Sehnsüchte“ des mittelalterlichen islamischen Mystikers Ibn Arabi neu ins Deutsche übertragen – Gedichte, die die Salafisten zur Weißglut treiben, wie Weidner sagt, und die zum Beispiel in Saudi Arabien heute noch verboten sind.

Stefan Weidner / © privat
Stefan Weidner / © privat

"Wer wissen will, was uns die islamische Kultur jenseits der aktuellen nur noch bedrückenden Nachrichten aus der arabischen Welt zu bieten hat, findet es hier“, schreibt Weidner in seinem Vorwort zu dem von ihm übersetzten Gedichtzyklus. Ibn Arabi ist einer der bedeutendsten mystischen Schriftsteller des islamischen Mittelalters. Geboren in Andalusien, durchstreifte er die gesamte arabische Welt. Sein Grab in Damaskus ist heute ein Wallfahrtsort. Arabis poetisches Hauptwerk mit dem Titel "Der Übersetzer der Sehnsüchte«, von dem bisher nur wenige Auszüge zu lesen waren, erscheint jetzt erstmals vollständig auf Deutsch.

Mit Liebesgedichten Gott verehren

In den Gedichten erzählt der Dichter Arabi, wie er sich in Mekka in die schöne Nizam verliebt. "Mit Nizam hatte Arabi ein intensives platonisches Verhältnis“, erzählt Weidner, “darum geht es in den Gedichten. Auf einer zweiten Ebene beschreibt er in der Beziehung zu diesem Mädchen auch sein Verhältnis zu Gott, das ein Verhältnis von Distanz und Nähe ist. Genauso wie der Liebende das Mädchen Nizam nur platonisch und nicht real haben kann, genauso kann Gott für ihn nicht irdisch real werden, aber er kann sie und damit auch Gott in seinen Versen verehren“. Arabi läßt hier eindrucksvoll religiöse und weltliche Sprache ineinander fließen. "Er benutzt die Sprache der Religion, sogar theologische Fachbegriffe, um die Liebe zu beschreiben", sagt Weidner, "das heißt die Fachsprache der Theologie und die Sprache der Liebe setzt er gegeneinander. Mit theologischen Termini erzählt er von der irdischen Liebe, und mit der Sprache der irdischen Liebe beschreibt er die Liebe zu Gott – und das macht es so besonders spannend".

Reiche islamische Tradition

Die Salafisten verurteilten Arabis Dichtung schon zu Lebzeiten. Seine Toleranz, seine Liberalität und sein Freiheitsbegriff war ihnen ein Dorn im Auge. "Der Hauptgegner von Ibn Arabi und seiner Schule war damals der Begründer des Salafismus – und bis heute ist es so, dass dort, wo die Salafisten herrschen, der Dichter Arabi verboten ist. Das heißt, wenn wir heute einen aufgeklärten, toleranten Islam fordern, der sich erst entwickeln möge oder soll, dann müssen wir nur zurück blicken, denn diesen Islam gibt es mit Theologen und Poeten wie Ibn Arabi schon längst. "Wir und die Muslime müssen diese reiche islamische Tradition wieder entdecken und in den Vordergrund stellen,“ fordert Stefan Weidner,“ dann schafft man es, eine aus der eigenen Kultur geschöpfte Modernität und Aufgeklärtheit des Islam einzuführen, ohne das man ständig sagen muss, wir müssen alles aus dem Westen entnehmen“.

Lesungen mit Stefan Weidner: 24.05.16 Lengfeldsche Buchhandlung Köln / 17.06.16 Brotfabrik Theater gGmbH Bonn /12.07.16 Katholische Akademie Franz Hitze Haus Münster